Capital Wirtschaftsnachrichten
Airlines wie Lufthansa, Swiss & Co. kämpfen mit massivem Kapitänsmangel: Pandemie, Pensionierungen und Ausbildungskürzungen führen zu einer Pilotenknappheit – und steigenden Preisen
Die Lufthansa-Tochter Swiss muss in diesem Sommer 1400 Flüge streichen, weil Pilotinnen und Piloten fehlen. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall – der gesamten Branche in Europa und den USA fehlen Flugkapitäne, wie Andreas Pinheiro, Präsident des Berufsverbands Vereinigung Cockpit, berichtet. Für die Passagiere steigen dadurch die Ticketpreise.
Nach Berechnungen der Managementberatung Oliver Wyman werden bis 2032 in Europa 19.000 Piloten fehlen, in Nordamerika sogar fast 30.000, wenn nicht gegengesteuert wird. Die Lufthansa-Gruppe etwa kündigt auf ihrer Homepage an, in den nächsten Jahren mehr als 2000 neue Mitarbeiter fürs Cockpit einzustellen.
Die Probleme sind in den Augen von Pinheiro – selbst Pilot bei der Lufthansa – hausgemacht: „Das ist die Folge von Managementfehlern“, sagt der Gewerkschafter. „Die Prognosen aus der Corona-Pandemie haben sich bewahrheitet.“ So schlitterte der Lufthansa-Konzern seiner Einschätzung nach sehenden Auges in den Piloten-Mangel: „Es war klar: Es wird eng auf dem Piloten-Markt.“
Hunderte im Vorruhestand, Ausbildung reduziert
Zum einen gehen in diesen Jahren mit den sogenannten Babyboomern zahlreiche Piloten gleichzeitig in Rente. Der Vorruhestand ist bei den Kernmarken Lufthansa Passage und Lufthansa Cargo schon ab 55 Jahren möglich. Angesichts der in der Pandemie stark gesunkenen Nachfrage schickte die Airline vor drei Jahren fast 400 Piloten über ein Freiwilligenprogramm in den vorzeitigen Ruhestand. „Eine hohe Zahl bei derzeit rund 4900 Piloten.“
Dieser Rückgang lässt sich jetzt, wo sich die Nachfrage zumindest auf der Mittel- und Langstrecke wieder dem Vor-Corona-Niveau nähert, nicht kompensieren: „Es handelte sich um 390 Kapitäne – man braucht 18 bis 20 Jahre, um Kapitän zu werden.“ Zudem hätten im Zuge des Freiwilligenprogramms viele Ausbilder das Unternehmen verlassen. Ausbilder zu werden, dauere wiederum bis zu drei Jahre. Ähnlich lief es der Piloten-Gewerkschaft zufolge beim Freiwilligenprogramm von Tuifly.
Ebenfalls während der Pandemie reduzierte die Lufthansa die Ausbildungskapazitäten ihrer für den Konzern zentralen Flugschule in Bremen massiv. „Deshalb haben wir jetzt ein Nachwuchsproblem“, sagt Pinheiro. Da ein Flugschüler im Normalfall drei Jahre Ausbildung benötigt, manifestiere sich die Entwicklung erst jetzt.
In der Folge liege das Flugangebot in Deutschland noch deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau, auch weil Flugzeuge aus dem Markt genommen wurden. Von den rund 180 Kurzstreckenflugzeugen bei der Lufthansa Passage sind laut Pinheiro nur etwas mehr als 150 im Einsatz. „Bei einer relativ hohen Nachfrage führt das zu hohen Preisen“, gibt der Pilot zu bedenken.
Ausbildung kostet 120.000 Euro
Damit nicht auch noch die Sicherheit der Passagiere leidet, seien Flugstreichungen die richtige Konsequenz. Der Beruf sei schon anstrengend genug: Schicht- und Nachtarbeit nach einem strikten Dienstplan. Viele junge Menschen wollten heute selbstbestimmter arbeiten.
Nicht nur deshalb drängen nicht mehr so viele und nicht mehr so viele geeignete Bewerber in den Job wie früher. Die Ausbildungskosten von 120.000 Euro bei der Lufthansa müssen vom späteren Gehalt zurückgezahlt werden, schon in der Ausbildung sind 10.000 Euro fällig, ob aus Eigenkapital oder einem Kredit. Danach ist ein Job im Konzern allerdings nicht mehr garantiert.
Die Vereinigung Cockpit fordert eine Übernahmegarantie wie früher und dass die Finanzierung der Ausbildung erleichtert wird, also unabhängig vom finanziellen Hintergrund der Bewerber. „Wir wollen keinen Eliteberuf schaffen, sondern die fähigsten Leute im Cockpit haben“, sagt Pinheiro. „Dafür ist die soziale Schicht oder das Einkommen des Elternhauses egal.“ Eine Ausbildung sei kein Profitcenter, mahnt der Gewerkschaftschef die Arbeitgeber. Geld verdienen lasse sich später mit motivierten, gut geschulten Piloten.
Große Gehaltsunterschiede bei Airlines
Das Gehalt von Piloten unterscheidet sich je nach Airline stark. Die Lufthansa-Gruppe stellt fertig ausgebildete Flugschüler inzwischen über ihre Tochterunternehmen ein, die bis zu 50 Prozent weniger Gehalt zahlen. Bei der Kernmarke Lufthansa steigt ein Co-Pilot mit einem Fixgehalt von 88.600 Euro im Jahr ein, wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf das Unternehmen berichtete. Kapitäne in der höchsten Erfahrungsstufe können demnach bis zu 281.300 Euro verdienen – plus Zulagen.
Durchschnittliche Jahresgehälter liegen für Co-Piloten bei 100.000 Euro, für Kapitäne, die Mittelstrecke fliegen, bei etwa 135.000 Euro, wie die Vereinigung Cockpit RTL mitteilte. Das Jobportal Stepstone nennt für Piloten nur eine Gehaltsspanne von gut 61.000 bis knapp 83.000 Euro brutto pro Jahr, umgerechnet also rund 5100 bis 6900 Euro pro Monat. Die Arbeitsagentur kommt auf ein Mediangehalt von 7100 Euro – die Hälfte verdient mehr, die Hälfte weniger, wobei nur für Süd- und Westdeutschland genug Daten vorliegen. Berücksichtigt werden müssen hier zudem teils besondere Konditionen, beispielsweise bei Urlaub oder Rente.
Pinheiro meint, dass heute schon junge Menschen bei der Berufswahl den Traumberuf Pilot mit anderen Jobs und deren Gehältern vergleichen – beispielsweise mit Ärzten, Unternehmensberatern oder Juristen. Die Gewerkschaft wirbt deshalb für höhere Gehälter für Piloten. Daneben müssten die Ausbildungskapazitäten wieder aufgestockt werden, um dem Piloten-Mangel entgegenzuwirken.
Im automatisierten Fliegen sieht der Berufsverband keine Lösung. Auch die Europäische Agentur für Flugsicherheit kam gerade zu dem Ergebnis, dass Verkehrsflugzeuge in Europa weiterhin von mindestens zwei Menschen gesteuert werden müssen - nur eine Person im Cockpit sei zu unsicher. Pinheiro: „Ich gehe davon aus, dass wir noch sehr lange zwei Piloten im Cockpit haben werden, auf Langstreckenflügen drei oder vier.“
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.
Auch wenn es für die LGBTQ-Community politisch ungemütlicher wird – die Reisebranche tüftelt weiter an Angeboten für diese wichtige Zielgruppe
Es war schon mal mehr Glamour in der LGBTQ-Community. Und auch mehr Urlaubsstimmung. In den USA schrauben Firmen wegen des politischen Drucks ihre Diversitätsprogramme zurück, Berichte über trans- und queerfeindliche Übergriffe machen immer wieder Schlagzeilen. Dagegen stehen zwar positive Nachrichten wie die aus Thailand, wo die gleichgeschlechtliche Ehe seit diesem Jahr legal ist.
Doch der Streit um die Regenbogenfahne am Bundestag oder die Absage des „Christopher Street Day“ in Gelsenkirchen wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“ zeigen: Die Stimmung ist stark aufgeheizt.
Wie positioniert sich die Reisebranche in diesem Spannungsfeld – zwischen dem Versprechen inklusiver Ferien in der Ferne und angedrohten Restriktionen einiger Regime? Schließlich ist die LGBTQ-Community eine lukrative Zielgruppe. Ihre Ausgaben für Reisen werden bis 2032 auf über 610 Mrd. Dollar taxiert. Auf der weltgrößten Reisemesse ITB organisiert Thomas Bömkes, geschäftsführender Gesellschafter der Diversity Tourism GmbH, den Messebereich, wo viele LGBTIQ+ Veranstalter ihre Stände haben.
Capital: Thomas Bömkes, warum gibt es eine eigene Präsenz von Veranstaltern mit Fokus auf LGBTQ-Reisende in Berlin?
THOMAS BÖMKES: Die ersten Aussteller haben bereits Ende der 1990er ihre Destinationen auf der ITB beworben, beispielsweise Key West, Florida (1997) oder München Tourismus (1998). Damals hat unsere Agentur die International Gay & Lesbian Travel Association (IGLTA) in Europa vertreten und wir konnten am Münchner Stand kostenlos „unterkommen“. 2003 haben wir dann den ersten LGBTQ Travel Pavillion auf der ITB inszeniert – und 2010 folgte ein eigenes LGBTQ-Segment auf der Messe.
© Volkmar Otto / Messe Berlin GmbH
Wie hat sich dieses Angebot seitdem entwickelt?
2010 waren nur drei Anbieter präsent und es gab kein Rahmenprogramm. Über die Jahre verzeichneten wir jedoch ein deutliches Wachstum: mehr Aussteller, eine Networking-Lounge, eine dreitägige Konferenz sowie LGBTQ-Themen auf der allgemeinen ITB Convention. Darüber hinaus gibt es Networking-Events und -Partys sowie die ITB Diversity Gala im The Ritz-Carlton am letzten Messeabend, wo seit 2017 auch die ITB LGBTQ+ Tourism Awards verliehen werden. Insgesamt bieten wir nun die weltweit größte und wichtigste Plattform auf einer Reisemesse für Veranstalter, die in diesem Marktsegment aktiv sein wollen.
© Dirk Lässig / Messe Berlin GmbH
Wie ist Ihre Prognose für 2026?
Wir sehen in jedem Jahr eine Steigerung des Interesses an diesem Markt, vor allem aber eine qualitative Steigerung in Angebot und Nachfrage.
Es wird viel über die Kaufkraft und Konsumbereitschaft der LGBTQ-Community gesprochen. Aber wie stehen diese im Verhältnis zu den Ausgaben von heterosexuellen Reisenden?
Die Studien belegen in der Regel stets ein signifikant höheres „spending“, weil mehr Geld zur Verfügung steht – Stichwort „DINKs“, also „Double Income, No Kids“. Die Zielgruppe ist auch gewillt, häufiger zu verreisen und knausert dabei nicht. Viele pflegen zudem Kontakte innerhalb der weltweiten „Community Bubble“, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr miteinander verknüpft hat. Das verstärkt die Reiseaktivitäten einer ohnehin sehr mobilen Zielgruppe.
Ist der durchschnittliche LGBTQ-Tourist auch vermögender?
Mir sind diesbezüglich keine validen statistischen Daten bekannt. Ohnehin gibt es „den LGBTQ-Tourist“ nicht, denn schwule Männer, lesbische Frauen und alle anderen Gruppen weisen sehr unterschiedliche Vermögensstrukturen auf und besitzen ein ebenso diverses Reiseverhalten. Schwule Männer sind sicherlich die attraktivste Zielgruppe, weil Männer im Schnitt weiterhin mehr verdienen und in ihren Haushalten weniger Kinder leben als bei lesbischen Frauen.
Welche Städte und Länder sind bei LGBTQ-Reisenden aktuell besonders gefragt?
Grundsätzlich stehen Metropolen mit einer in der Regel aktiven Community immer ganz oben in der Beliebtheitsskala, etwa Berlin, Madrid oder London. Im deutschen und europäischen Markt buchen schwule Männer im Sommer gern Sitges nahe Barcelona und im Winter Gran Canaria oder Florida im Winter. Aber nach wie vor auch Ibiza, Mykonos und weitere Destinationen am Mittelmeer. Neu etabliert haben sich Torremolinos in Andalusien und etliche italienische Strandorte. Bei lesbischen Frauen stehen eher rustikale Ziele im Mittelpunkt, die zum Wandern, Biken und Hiking einladen: Lanzarote, Teneriffa oder Lesbos.
Wie entwickelt sich das Interesse an Urlauben in den USA?
Hier ist derzeit leider ein negativer Trend zu verzeichnen, in Europa wie auch in Deutschland. Das liegt weniger daran, dass dortige Ziele an Attraktivität verloren hätten, sondern an der politischen Situation, die Unsicherheit und Abneigung ausgelöst hat. Wenngleich Nordamerika – in der Regel – ein sicheres Reiseland für die LGBTQ-Community bleibt.
Welche besonderen Anforderungen stellen LGBTQ-Touristen an Destinationen, Hotels, Gastronomie und Kreuzfahrt-Reedereien?
Sie erwarten eine Gleichbehandlung mit allen anderen Reisenden, was durchweg auch so geschieht. Oft führen eher Unwissenheit und fehlende Marktkenntnisse zu Problemen als böser Wille; wenn einem schwulen Paar beispielsweise ein Doppelzimmer mit zwei getrennten Betten reserviert wird. Hierzu kann ich das Schulungsprogramm der Organisation Queer Destinations sehr empfehlen, das lokale Regierungen, Hotels und Tourismusverbände unterstützt und weiterbildet. Oft ist es der offene, ehrliche Austausch mit der LGBTQ-Community, der zu einer aufmerksamkeitsstarken und lukrativen Partnerschaft führt, wie man kürzlich bei der weltweit beachteten Großveranstaltung World Pride in Washington D.C. beobachten konnte.
Was können Reiseveranstalter falsch machen?
Wichtig ist, dass man als Veranstalter oder Hospitality-Unternehmen weder Pinkwashing betreibt, noch Abzocke-Angebote auflegt. Beides wird meist rasch entlarvt und kann deutliche negative Folgen haben.
In der Öffentlichkeit hält sich das Stereotyp vom LGBTQ-Urlaub als einer Pool-Sause mit spärlicher Bekleidung.
Ja, leider rücken Medien den attraktiven, halbnackten und verschwenderischen schwulen Mann immer gern in den Fokus ihrer Berichterstattung zu LGBTQ-Reisethemen. Den gibt es natürlich, doch eigentlich spiegelt die LGBTQ-Community überwiegend die „normale“ Gesellschaft wider, mit all ihren Problemen, Herausforderungen, beruflichen und privaten Interessen; wenn auch mit sicherlich etwas anders gewichteten Schwerpunkten hier und da.
Schaut man auf die offiziellen Partner-Länder der ITB in den letzten Jahren, dann kann deren positiver Umgang mit der LGBTQ-Community nicht der Grund für die Auswahl gewesen sein. Albanien als Gastland 2025 landet im „Gay Travel Index“ nur auf Platz 66. Malaysia, was 2019 Partner-Land der ITB war, ist auf Position 199. Wie geht das zusammen?
Das hat sich mit einer Neuregelung nun geändert, nach der sich jedes offizielle Partnerland der ITB im Vertragswerk zu Diversität und Achtung von LGBTQ-Rechten verpflichten. Das hat auch Albanien übrigens getan. Die Messe nimmt das Thema sehr ernst, und platziert es weltweit so gut wie möglich. Wir waren vor der Pandemie beispielsweise mit einem LGBT-Pavilion auf der ITB Asia in Singapur präsent, was im asiatischen Tourismus sehr viel bewegen konnte. Zudem erzeugen unsere „ITB LGBTQ Academy“-Konferenzen, die wir in Indien, Japan, Brasilien, Malta und Polen veranstaltet haben, ein großes lokales Medienecho. Die so angestoßenen Diskussionen haben ebenfalls ein gewisses Veränderungspotenzial entfalten können.
Wo sehen Sie aktuelle und zukünftige Branchentrends?
Wir sehen eine deutlich steigende Nachfrage bei Events – von großen Pride-Festivals in weltweiten Metropolen bis zu CSD-Paraden in kleineren Städten. Außerdem bleiben spezielle Angebote bei Kreuzfahrten, [„gay only“]-Hotels und in der Ski-Saison sehr beliebt. Generell geht es ja nicht darum, dass die LGBTQ-Community „endlich“ reisen kann, sondern um die weitere Ausgestaltung eines chancenreichen Marktsegmentes – mit entsprechend hoher Erwartung an die Angebotsseite, spezifische Produkte zu entwickeln.
In einer Welt voller Krisen gewöhnt sich unser Gehirn an Negativnachrichten. Doch an der Börse kann diese Abstumpfung riskant sein. Wie bleiben Anleger wachsam und souverän?
Die vergangenen Wochen haben uns wieder einmal vor Augen geführt, wie sehr sich die Welt im Ausnahmezustand befindet. Humanitäre Katastrophen, politische Krisen und wirtschaftliche Unsicherheiten bestimmten die Schlagzeilen – und auch an den Börsen ging es turbulent zu. Vielleicht haben Sie selbst bemerkt, dass Sie auf diese Nachrichtenlage zunehmend gelassen, vielleicht sogar ein wenig abgestumpft reagieren? Dieses Phänomen hat einen Namen: Habituation.
Was steckt hinter Habituation?
Habituation beschreibt die Fähigkeit unseres Gehirns, sich an wiederkehrende Reize zu gewöhnen. Was uns beim ersten Mal noch erschüttert, verliert mit der Zeit an emotionaler Wucht. Psychologisch betrachtet ist das ein Schutzmechanismus: Er hilft uns, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und nicht von der ständigen Reizüberflutung überwältigt zu werden. Die Orientierungsreaktion schwächt sich ab – das Neue verliert seinen Schrecken, und wir nehmen es kaum noch bewusst wahr.
Börse und Gewöhnung: Zwischen Souveränität und Risiko
Gerade an den Finanzmärkten begegnen uns schlechte Nachrichten mit einer gewissen Regelmäßigkeit: Kurseinbrüche, geopolitische Krisen, Unternehmenspleiten. Viele Anlegerinnen erleben zu Beginn ihrer Investmentreise starke emotionale Reaktionen – von Sorge bis Panik. Doch mit jeder durchlebten Krise – sei es die Finanzkrise, die Corona-Pandemie oder politische Umbrüche – stellt sich eine gewisse emotionale Abhärtung ein. Diese Gelassenheit ist keineswegs negativ: Wer sich nicht von jeder Negativmeldung aus der Ruhe bringen lässt, trifft seltener impulsive und teure Fehlentscheidungen. Für langfristige Investorinnen, die auf Buy-and-Hold setzen, ist das ein echter Vorteil.
Doch Vorsicht: Die Kehrseite der Medaille ist, dass wir echte Risiken leicht unterschätzen, wenn wir uns zu sehr an schlechte Nachrichten gewöhnen. Warnsignale werden dann übersehen – etwa, wenn sich fundamentale Probleme in Unternehmen oder ganzen Branchen abzeichnen oder sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gravierend verschlechtern. Die Geschichte der Finanzmärkte zeigt, wie schmerzhaft solche Fehleinschätzungen sein können: Wer die Risiken der Finanzkrise 2007/08 oder der Corona-Pandemie unterschätzte, musste teils erhebliche Verluste verkraften. Auch die Zinswende 2022/23 kam für viele überraschend, weil die lange Phase der Nullzinspolitik zur Gewohnheit geworden war.
Wie bleiben wir wachsam?
- Selbstreflexion: Fragen Sie sich regelmäßig: Reagiere ich noch angemessen auf neue Informationen – oder bin ich bereits abgestumpft? Ein Tagebuch über eigene Gedanken und Anlageentscheidungen kann helfen, Muster zu erkennen.
- Diversifikation: Streuen Sie Ihre Anlagen breit über verschiedene Branchen, Regionen und Anlageklassen. So reduzieren Sie das Risiko, von einzelnen Entwicklungen überrascht zu werden.
- Regelmäßige Portfolio-Checks: Überprüfen Sie Ihr Depot mindestens einmal pro Jahr kritisch. Halten Sie Positionen nur aus Gewohnheit? Sind Ihre Investmentthesen noch aktuell?
- Externe Impulse: Holen Sie sich regelmäßig eine zweite Meinung – sei es durch unabhängige Finanzblogs, Podcasts oder Gespräche mit anderen Anlegerinnen. Außenstehende erkennen oft, was einem selbst entgeht.
- Wissen erweitern: Bleiben Sie informiert über wirtschaftliche und politische Entwicklungen. Wer Zusammenhänge versteht, kann Risiken besser einschätzen und bleibt handlungsfähig.
Habituation ist ein zweischneidiges Schwert: Sie schenkt uns an der Börse Ruhe und Souveränität, birgt aber auch die Gefahr, dass wir echte Risiken übersehen. Was uns emotional schützt, kann in gefährliche Gleichgültigkeit umschlagen – nicht nur gegenüber den Märkten, sondern auch angesichts der Krisen und Konflikte dieser Welt. Bewusste Selbstreflexion und regelmäßige Überprüfung der eigenen Haltung sind daher unerlässlich. Die wichtigste Investition bleibt: ein wacher, mitfühlender Verstand.
Donald Trump droht Brasilien mit einem Aufschlag auf alles, was das Land in die USA exportiert. Unter anderem auf Kaffee. Steigt der Preis dann auch für uns in Deutschland?
Fünfzig Prozent! Mit so hohen Zöllen will Donald Trump nicht nur die EU überziehen, sondern auch Brasilien. Zu den wichtigsten Exportgütern des Landes zählt der Kaffee. Wer am Ende den Preis für die rabiate Politik bezahlt, steht noch gar nicht so eindeutig fest. Es ist auch eine Frage von Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt.
Die Kaffee-Einfuhr aus Brasilien in die USA dürfte jedenfalls zurückgehen. Wenn die US-Importeure dann versuchen, ihren Bedarf über andere Länder zu decken, könnte das die Preise nach oben treiben. Doch die brasilianische Ware ist natürlich nicht vom Weltmarkt verschwunden. Die Bohnen könnten verstärkt anderen Ländern angeboten werden – womöglich zu günstigeren Konditionen.
Zum Beispiel Deutschland, mit rund 1,1 Millionen Tonnen jährlicher Einfuhr nach den USA die Nummer zwei weltweit beim Verbrauch. Beide Staaten beziehen zurzeit rund ein Drittel ihres Kaffees aus Brasilien.
Ein Blick auf die Kaffeebörse
Unterm Strich könnte Trumps Zoll also die Handelsströme verändern, aber nicht zwingend den Preis. Dafür spricht auch das jüngste Handelsgeschehen an den Kaffeebörsen: Es gab zwar ein kurzes Zucken nach oben, dann hat es sich rasch wieder eingependelt. Denn: Solange die weltweit angebotene Kaffeemenge nicht knapper wird, etwa durch Missernten, und die weltweite Nachfrage nach dem Heißgetränk in etwa konstant bleibt, gibt es auf längere Sicht für Röstereien keinen Grund, höhere Preise als aktuell zu bezahlen. Und damit auch nicht für die Verbraucher in Deutschland. Hierzulande hatten die Preise im Einzelhandel im März einen Höhepunkt erreicht – ohne Einfluss von Trump.
Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört. Auf Capital.de wird er zehn Tage hier aufrufbar sein. Danach finden Sie ihn auf www.stern.de.
Während sich die Politik in Geisterdebatten aufreibt, bleiben viele echte Probleme ungelöst: Eines davon ist seit Jahren die Alterung der Gesellschaft und ihre Kosten
Es ist schon erstaunlich, wie viel Energie, Intelligenz und hochbezahlte Arbeitszeit das Land immer wieder auf Geisterdebatten verwenden kann. Seit etwas mehr als einer Woche etwa für die Nominierung einer Richterin am Bundesverfassungsgericht, die bis dahin kaum ein Mensch kannte und deren Arbeit die vergangenen 20 Jahre auch fast niemanden interessiert hat. Keine Sorge, das sollen die letzten Zeilen zu dieser Personalie gewesen sein – ich verweise in dieser Angelegenheit lieber auf die heutige Kolumne des früheren Bundesrichters Thomas Fischer bei den Kollegen vom „Spiegel“. Aber die Inbrunst, mit der hier jede Ecke ausgeleuchtet und ausdiskutiert wird, ist umso verstörender, da echte Probleme, die offen zu Tage liegen, seit Jahren und Jahrzehnten einfach ignoriert werden.
Zum Beispiel die Demografie und ihre Folgen. Die zahlreichen Baby-Boomer, geboren in den 1950er und 60er Jahren, bekamen vor 40 Jahren ihre Kinder; deren Nachwuchs wiederum – die Enkel der Boomer – kam vor 20 Jahren auf die Welt. Jede Generation wurde kleiner. Diese gesellschaftliche Entwicklung muss man gar nicht politisch bewerten, aber sie ist seit Jahrzehnten bekannt, ebenso wie ihre ökonomischen Konsequenzen. Doch passiert ist wenig, die letzten 18 Jahre sogar gar nichts.
Die letzte große Rentenreform gab es 2007 mit der Rente mit 67. Damals dachte man, die meisten Probleme in der Rente seien gelöst. Doch seither unternahmen diverse Bundesregierungen alles Mögliche, um diese Reform wieder auszuhebeln: Rente mit 63, Mütterrente, Rentenniveaugarantie. Das Ergebnis: Die Lage in der gesetzlichen Rentenversicherung ist heute in etwa so wie vor 25 Jahren – als hätte es all die Reformen und Auseinandersetzungen darum nie gegeben. Nur, dass wir jetzt nicht mehr 20 Jahre haben, um die absehbaren Probleme in den Griff zu bekommen.
- Der Zuschuss des Bundes für die gesetzlichen Rentenkassen ist in den vergangenen fünf Jahren um fast 50 Mrd. Euro gestiegen, von 75 Milliarden im Jahr 2020 auf geplant 121 Milliarden in diesem Jahr.
- Der Rentenbeitrag, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihre Arbeitgeber zahlen, um damit die Bezüge der heutigen Rentner zu finanzieren, wird von heute 18,6 Prozent der Bruttoeinkommen auf 22,3 Prozent im Jahr 2035 steigen.
- Das Verhältnis von Arbeitnehmern zu Rentnern wird von heute etwa 33 auf etwa 42 im Jahr 2035 steigen. Das bedeutet, dass auf 100 Arbeitnehmer in zehn Jahren knapp ein Drittel mehr Rentner kommen als heute.
Wenn man solche Zahlen auflistet, macht man sich nicht beliebt. Schnell schwingt der Vorwurf mit, man zettele eine Neid- oder Verteilungsdebatte an – die Jungen gegen die Alten. Lebensleistungen, berechtigte Ansprüche und der Wunsch nach Planungssicherheit prallen auf das Gefühl von Überforderung und fehlenden eigenen Möglichkeiten. Und immer geht es ums Geld: Wer soll das bezahlen?
Der „Boomer-Soli“ ist ein guter Impuls
Verständlich ist daher der Reflex von Politikern, lieber über andere Themen zu sprechen. Nur, die Probleme und Konflikte gehen deshalb ja nicht weg. Auch der zweite Reflex, die Probleme mit einem Griff in den allgemeinen Haushalt zu lösen (Stichwort: steigende Bundeszuschüsse), hilft nur kurzfristig weiter. Das Geld fehlt dann eben an anderer Stelle. Es rächt sich auch, dass die Politik – trotz oder gerade wegen einer vor 25 Jahren ziemlich vermurksten Reform der privaten Altersvorsorge – lange nichts mehr getan hat, um den langfristigen privaten Vermögensaufbau zu fördern. Ein letzter Ansatz dafür war das „Altersvorsorgedepot“, das die neue Regierung unverständlicherweise nur noch für Kinder auflegen will.
Insofern war es ein guter Impuls einer Forschergruppe des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in dieser Woche, einen neuen Vorschlag vorzulegen, wie sich die absehbaren Verteilungskonflikte um die gesetzliche Rente in den kommenden zehn bis 20 Jahren zumindest abmildern lassen: Sehr plakativ schlagen die Wissenschaftler einen „Boomer-Soli“ vor, einen Extra-Obolus für jene Rentner, die im Alter besonders hohe Einkommen zu erwarten haben. Mit diesen zusätzlichen Steuereinnahmen sollten dann niedrige Renten aufgestockt werden – Umverteilung innerhalb einer Generation statt Umverteilung zwischen den Generationen.
Ja, man kann an diesem Vorschlag einiges kritisieren: Er ist kompliziert, erfordert einen neuen Verteilungsschlüssel, im Zweifelsfall auch noch Prüfungen, wer als Rentner wirklich einen Zuschuss verdient und wer nicht. Vor allem aber würde der Vorschlag gerade all jene Rentner mit höheren Steuerabzügen bestrafen, die im Erwerbsleben viel geleistet, gut verdient und viel zur Seite gelegt haben. Eigeninitiative wäre kein Vorteil mehr, sondern ein Malus.
Es gibt aber auch Argumente für die Idee: So ist das Steuersystem – und nicht die Sozialversicherung – prinzipiell der beste Ort, um einen Sozialausgleich zwischen Reich und Arm zu organisieren. Denn die Finanzämter erfassen alle Einkünfte und haben den besten Überblick, ob jemand wirklich nur eine kleine Rente erhält, oder noch nennenswerte Einkünfte aus Vermietung oder einem Aktiendepot erzielt.
Nun gibt es zahlreiche Alternativen zu einem „Boomer-Soli“, die seit vielen Jahren bekannt sind. Die einfachste – und unpopulärste – ist sicher eine weitere schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 67 auf 69 oder 70 Jahre über die kommenden zehn bis 20 Jahre. Auch dies würde helfen, das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Ruheständlern weiter im Lot zu halten.
Was sind die Alternativen
Eine andere Option wäre die Absenkung des Leistungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung – also das genaue Gegenteil dessen, was die Regierung derzeit mit der sogenannten Rentengarantie verfolgt. Zudem wäre dieser Ansatz wohl nur vertretbar, wenn man zugleich – das wäre auch eine dritte Option – die bereits bestehende Grundrente für Menschen, die lange gearbeitet aber stets wenig verdient haben, aufstockt. Schon heute erhalten mehr als eine Million Rentnerinnen und Rentner eine solche Grundrente. Doch auch das kostet Geld, das über das Steuersystem eingenommen werden müsste.
Eine weitere Möglichkeit, mit der Demografie und der ungleichen Verteilung von Einkommen im Alter umzugehen, praktiziert die Schweiz seit Jahrzehnten: Dort wird innerhalb der gesetzlichen Altersvorsorge massiv umverteilt, die Wohlhabenderen zahlen mit ihren Beiträgen einen Teil der Mindestrenten von Geringverdienern mit.
Der Nachteil vieler dieser Reformoptionen: Sie wirken bestenfalls langfristig, denn die bereits erworbenen Rentenansprüche älterer Arbeitnehmer unterliegen einem strengen Schutz durch das Grundgesetz. Der einfachste und schnellste Weg, die Kosten einer alternden Gesellschaft neu zu organisieren, ist und bleibt daher das Steuersystem. Der plakative Name „Boomer-Soli“ schreckt auf und wahrscheinlich auch ab – doch die Idee und der Ansatz verdienen eine ernsthafte Diskussion. Denn anders als viele Geisterdebatten werden die Alterung der Gesellschaft und ihre Folgen nicht einfach verschwinden.
Die EU-Kommission plant ab 2028 zusätzliche Eigenmittel, darunter neue Abgaben für Unternehmen. Rund 20.000 deutsche Unternehmen sind betroffen. Jetzt regt sich Widerstand
Die EU-Kommission plant ab 2028 zusätzliche Eigenmittel, darunter neue Abgaben für Unternehmen. Rund 20.000 deutsche Unternehmen sind betroffen. Jetzt regt sich Widerstand
Der Berliner Bezahlterminal-Betreiber Sumup wurde zuletzt als heißer Börsenkandidat gehandelt. Mitgründer Marc-Alexander Christ erteilt dem nun eine Absage. Das Klima sei zu schlecht
Der Zahlungsdienstleister Sumup hat einem raschen Börsengang eine Absage erteilt. „Wenn man sich momentan das Börsenumfeld anguckt, ist es nicht superdringend“, sagte Sumup-Mitgründer Marc-Alexander Christ im Gespräch mit Capital. Er werde „warten, bis die Börsenverhältnisse wieder etwas fruchtbarer sind“. Generell halte er die Emission am Kapitalmarkt weiter für wahrscheinlich. „Aber ich glaube, da ist 2026 eine bessere Idee als 2025.“
Mit seiner Zurückhaltung reiht sich Sumup ein in eine Riege deutscher Techunternehmen, die unlängst eine mögliche Notierung am Aktienmarkt aufgeschoben hatten. So brach der Online-Autoteilehändler Autodoc Ende Juni bereits zum zweiten Mal einen Gang an die Börse ab und nannte dabei die „geopolitische Situation“ als wichtigsten Grund. Auch das Medizintechnikunternehmen Brainlab sagte seinen IPO Anfang Juli kurz vor dem Start ab und verwies auf ein Umfeld, das „nicht optimal“ sei. In beiden Fällen hatten sich die Eigentümer offenkundig höhere Bewertungen erhofft.
Manche Firmen gehen daher andere Wege. So nahm das Transportunternehmen Flix weiteres Kapital über eine zusätzliche Finanzierungsrunde auf. Die Oldenburgische Landesbank wurde an das französische Institut Crédit Mutuel verkauft.
Sumup nimmt größere Kunden in den Blick
Für Sumup rückt der IPO weiter in die Ferne. Das in London und Berlin beheimatete Fintech hatte mit Kartenterminals für kleine Händler und Gastronomen einen steilen Aufstieg hingelegt. Seit Ende 2022 schreibt das Unternehmen, das von beteiligten Händlern Transaktionsgebühren erhebt, nach eigenen Angaben schwarze Zahlen. In einer Finanzierungsrunde im selben Jahr erreichte Sumup eine Bewertung von 8 Mrd. Euro. Allerdings ist fraglich, ob sich eine solche Bewertung aktuell durch einen entsprechenden Aktienpreis bestätigen ließe.
Nach Angaben Christs will Sumup den Kundenkreis ausweiten und jenseits der Kleinhändler auch größere Unternehmen in den Blick nehmen. „Das nächsthöhere Segment haben wir immer schon mitgenommen, haben uns aber weniger darauf konzentriert, denen besondere Lösungen anzubieten“, sagte der Sumup-Gründer. „Das wollen wir jetzt nachholen.“