Capital Wirtschaftsnachrichten
Trotz anhaltender Wirtschaftsflaute und Stellenabbau in Großkonzernen gibt es viele Branchen, die händeringend Leute suchen. Die Arbeitsagentur nennt mehr als 180 Jobs, die Engpassberufe sind
Die Substanz der deutschen Unternehmen sei „in Ordnung“, sagte Steffen Kampeter dieser Tage im Interview mit dem „Deutschlandfunk“. Eine mutige Aussage des Hauptgeschäftsführers des Arbeitgeberverbandes BDA angesichts Stellenstreichungen bei diversen Großunternehmen und anhaltender Wirtschaftsflaute. Doch die Lage am heimischen Arbeitsmarkt gibt Kampeter durchaus recht: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) rechnet auch für das kommende Jahr mit keinem überragenden Anstieg der Arbeitslosigkeit. Mehr noch: Bei rund 180 beschäftigungsstarken Berufsgruppen bestünden weiterhin „Engpässe“, also große Nachfrage von Betrieben nach Mitarbeitenden, aber viel zu wenige Interessenten.
Der vielzitierte Fachkräftemangel ist zu einer Wachstumsbremse geworden, zieht sich mittlerweile durch weite Teile der deutschen Wirtschaft: Ob Köche, Berufskraftfahrer, Steuerfachleute oder Unternehmensberater – laut BA alles „Engpassberufe“. Manche Branchen sind schier vom Mangel an Arbeitskräften durchzogen. Beste Jobchancen also für gelernte Kräfte, aber auch für mutige Um- und Quereinsteiger.
„Engpassberufe“: Bau, Metall und Elektro
Eklatant ist der Mangel auf dem Bau: Planer/-überwacher, Bauelektriker, Bauingenieure und Architekten, listet die Bundesagentur als Engpassberufe auf. Nicht nur bei Unternehmen, sondern auch in öffentlichen/staatlichen Betrieben, bei Ländern und Kommunen. Industrie und Handwerk, welches in vielen Sparten mehr denn je seinen sprichwörtlich „Goldenen Boden“ zeigt, suchen indes Elektrotechniker und Elektroniker, Maschinen- und Metallbauer, Betriebstechniker, technische Servicekräfte in Wartung und Instandsetzung sowie Kfz-Fachleute. Wenngleich derzeit wohl nicht gerade im Volkswagen-Konzern.
Bildung und Sozialwesen
Stark gefragt bleibt die Arbeit mit beziehungsweise für Menschen. Würde zum Beispiel Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) arbeitslos, bliebe er es sehr wahrscheinlich nicht lange. Als gelernter Sozialpädagoge hätte er laut BA-Analyse beste Jobchancen. Das gilt generell für Fachkräfte in der Sozialen Arbeit, nicht zuletzt in kirchlichen und gemeinnützigen Betrieben sowie an Schulen. Dort werden auch weiterhin Lehrkräfte gesucht. Programme der Bundesländer für Quereinstiege an allgemeinbildende und berufliche Schulen sollen gegen den Mangel helfen.
Grundvoraussetzung: Ein Hochschulabschluss. So wird eine Betriebswirtin, deren Stelle im Großkonzern gestrichen wird, heutzutage ohne viel Federlesen zur Berufsschullehrerin für Wirtschaftskunde und Mathematik; und aus einem studierten Grafik-Designer ein Kunstlehrer. Pädagogische Fortbildung inklusive. Solch pragmatisches Umschulen funktioniert bei Berufen der Kindererziehung nicht ohne weiteres. Und so dürfte die Nachfrage nach ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern weiter hoch bleiben, ein anhaltender Engpassberuf.
Gesundheit und IT
Wenig überraschend ist der nach wie vor grassierende Mangel an Fachpersonal über den gesamten Gesundheits- und Pflegesektor hinweg, trotz verbesserter Bezahlung: Ärzte, medizinische und zahnmedizinische Fachangestellte, Pflegepersonal, Pharmazeuten, Apotheker, Ergo- und Physiotherapeuten – alle gesucht. Auch der Hunger der Arbeitgeber nach IT-Fachkräften ist beileibe nicht gestillt, von Softwareentwicklung bis Anwendungsberatung.
Warum es bei all diesen Job-Chancen nicht zu mehr Vermittlungen kommt? Die BA erklärt es so: Arbeitslose hatten zuletzt sehr häufig keinen Engpassberuf gelernt. Von den arbeitslos gemeldeten Fachleuten suchten nur rund ein Viertel eine Anstellung in „Engpässen“. Der Ausblick der Bundesanstalt macht durchaus Mut: Zwar hielten viele Unternehmen ihre gut eingearbeiteten Fachkräfte, suchen aber im Zuge des demografischen Wandels auch in den nächsten Jahren neue.
Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört.
Schwache Wirtschaft, Probleme in der Pflegeversicherung: diese Woche steckte voller Nachrichten, die an 2002 und 2003 erinnern. Kein Wunder, dass ein Mann der Vergangenheit triumphiert: Friedrich Merz
Lange Zeit hieß es über Friedrich Merz, er sei ein Mann der Vergangenheit – im Auftritt, in der Ansprache und in seinen Positionen ein Flashback in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts: Bierdeckel-Steuerreform, traditionelle Werte, Leitkultur, harte Kante, kurz: ein Mann von gestern. Unvermittelbar für viele Wählerinnen und Wähler im Jahr 2024 oder 2025.
Nun, das Etikett des Ewiggestrigen war immer etwas überheblich und wurde Merz nie gerecht. Schließlich bleibt niemand in 20 oder 25 Jahren einfach stehen und lernt nichts dazu. Aber in Zeiten, in denen sich das Land am liebsten mit der Sinnhaftigkeit der Vier-Tage-Woche befasste, mit dem Gender-Sternchen und dem Veggie-Day, da funktionierte das Etikett recht gut.
Je länger jedoch die Ampel-Koalition mehr oder weniger ideen-, willen- und tatenlos dabei zusieht, wie die Wirtschaftskraft des Landes langsam, aber sicher schrumpft und schwindet, desto eher sind wir tatsächlich wieder da, wo wir Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre waren: sinkende Steuereinnahmen, steigende Arbeitslosenzahlen, und immer größere Löcher in den gesetzlichen Sozialversicherungen.
Die Nachrichten in dieser Woche waren doch ein einziger Flashback in die Anfänge des vorletzten Jahrzehnts: Die Pflegeversicherung stehe kurz vor der Insolvenz, war so eine Meldung (was faktisch Unfug ist, aber egal), die geplante Beitragserhöhung reiche bei Weitem nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Eine Nachricht wie aus dem Jahr 2002 oder 2003. Die Wirtschaftsleistung wird dieses Jahr erneut ein bisschen sinken, das zweite Jahr infolge. Hätte genauso gut auch 2002 oder 2003 gesendet werden können. Die Zahl der Arbeitslosen steigt und wird es weiter tun, sagt Andrea Nahles voraus, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Und als nächstes folgt die Steuerschätzung für das kommende Jahr, die mit dem fehlenden Wachstum ebenfalls eher schrumpfen als zulegen dürfte.
Natürlich sind wir noch weit entfernt von der Misere der 00er Jahre, als es fünf Millionen Arbeitslose gab. Doch mit dem tiefen Wirtschaftseinbruch 2020, dem Energiepreisschock 2022 sowie zwei leichten Rezessionsjahren hintereinander, befindet sich das Land heute wirtschaftlich in realen Preisen auf dem Niveau des Jahres 2019. Fünf verlorene Jahre, das ist bitter.
„Die Notenbanken haben sich auf ihren Lorbeeren ausgeruht“
Nicht alles davon geht auf das Konto der Ampelkoalition, weder die Folgen der Pandemie noch alle Folgen der Energiekrise und des Schocks aus dem Ukraine-Krieg. Aber schwer wiegt, dass sich das Regierungsbündnis aus SPD, FDP und Grünen wirtschafts- und finanzpolitisch auf nicht mehr viel einigen kann, seit das Bundesverfassungsgericht vor bald einem Jahr den Weg über neue Schulden versperrt hat. Mit allerhand Tricks und Kniffen laviert sich die Regierung seither durch, bestenfalls reichen Ehrgeiz und Mut noch für ein Flickwerk aus 49 kleinen Kleinigkeiten, von denen aber völlig unklar ist, was davon jemals den Weg ins Gesetzbuch schafft.
Man gewinnt den Eindruck, die Politik hat sich festgefressen in den zahlreichen Herausforderungen und Krisen, und sie findet keine Kraft mehr, neue Strategien und Antworten zu entwerfen. Es scheint, als gäbe es nur noch Schwarz oder Weiß: harte Einschnitte und Strukturreformen auf der einen Seite oder aber riesige neue Ausgabenprogramme und viele neue Schulden auf der anderen.
Brauchen beides: Angebot- und Industriepolitik
Stellvertretend für die großen politischen Blöcke, die sich gerade unversöhnlich gegenüberstehen, hatte Capital am Donnerstag zwei prominente Vertreter zu Gast: Auf der Bühne des „Vermögensaufbau-Gipfels“ in Frankfurt saßen die Ökonomen Sebastian Dullien und Lars Feld. Dullien ist ein gewerkschaftsnaher und einflussreicher Ökonom bei SPD und Grünen, Feld ist persönlicher Berater von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, legte in Frankfurt aber großen Wert auf die Feststellung, er lasse sich gerne auch bei der Union verorten.
Fast eine Stunde diskutierten Dullien und Feld über Strategien und Wege aus der aktuellen Flaute, die natürlich beides hat: eine langfristige strukturelle Dimension, und eine ganz akute. Die strukturellen Probleme werden sich nicht über Nacht beheben lassen, und sie anzugehen wird viel Kraft kosten. Die Stichworte hier lauten Bürokratieabbau, Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, aber auch Kostensenkungen für Unternehmen, sei es bei der Energieversorgung oder bei Steuern und Abgaben. Das waren die Ansätze von Lars Feld.
Kann Kamala Harris auch die Wirtschaft von sich überzeugen?
Aber da ist auch eine kurzfristige Dringlichkeit, die besonders Dullien adressierte: Die Welt um uns herum hat sich verändert, die Regeln sind heute andere als noch vor fünf oder zehn Jahren. Und entsprechend müssen auch wir heute anders auftreten. Dulliens Empfehlungen lauteten: Die Ursachen der akuten Wachstumsschwäche werden sich nur durch eine beherzte Industriepolitik beheben lassen, mit der der Staat private und öffentliche Investitionen anschiebt und zugleich Unternehmen mit Förderprogrammen Planungssicherheit gibt und sie so bei der Transformation ihrer Geschäftsmodelle unterstützt. Dafür wird mehr Geld nötig sein als der Bund heute ausgeben kann.
Die Schnittmenge zwischen Feld und Dullien: null. Dabei ist die Antwort doch offensichtlich: Wir werden beides brauchen, um aus der Krise herauszukommen – Strukturreformen à la Feld und mehr öffentliche und private Investitionen à la Dullien. Kurzfristig, das ist das Traurige, wird sich an dem Patt aber kaum noch etwas ändern. Frühestens nach der nächsten Bundestagswahl, spätestens also im Herbst 2025, gibt es die Chance für einen neuen Anlauf. Und der wahrscheinliche Kanzler aus heutiger Sicht heißt dann Friedrich Merz – in einer großen Koalition mit der SPD.
Bekommt Merz seinen Agenda-Moment?
Gut möglich, dass er, ähnlich wie vor 20 Jahren Gerhard Schröder nach seiner Wiederwahl 2002, relativ bald nach Regierungsantritt seinen Agenda-Moment haben wird – dann für eine Agenda 2030 oder 2035. Gemessen an seinem Anspruch an sich selbst müsste ihm das durchaus entgegenkommen. Nach Jahren des Stillstands müsste er ein großes Reform- und Wirtschaftsprogramm für die Modernisierung des Landes entwerfen. Die Kollegen des „Handelsblatt“ berichteten diese Woche über erste Pläne von Merz für eine große Steuerreform – auch dies ein Flashback in die 00er Jahre, aber ebenso ein probates Mittel gegen die Lethargie. Allerdings, damit sich die SPD darauf einlässt, müsste er wohl auch deutlich höhere Investitionen und eine aktivere Industriepolitik akzeptieren. Und, aber das fordern ja auch etliche CDU-Ministerpräsidenten inzwischen, eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz.
Vor bald drei Jahren, als Merz im dritten Anlauf die Parteispitze eroberte, sah es so aus, als komme er mindestens 15 Jahre zu spät. Was man damals noch nicht ahnen konnte: dass das ganze Land, statt darüber zu lamentieren, ob Merz wirklich der richtige Kandidat für das Jahr 2025 sein könnte, ihm einfach etwas entgegenkommen würde. Nun ist es so weit, jedenfalls sieht es so aus, als könnte ein Kanzler Merz ganz gut in die Zeit passen.
Tesla-Chef Elon Musk hat in einem Filmstudio einen Prototypen für ein autonom fahrendes Auto gezeigt – und die wichtigsten Fragen offen gelassen
Eines ist immerhin wirklich neu bei Tesla: Elon Musk baut den Disclaimer gleich mit ein. Als er am Donnerstagabend in den Warner-Bros.-Filmstudios seinen Prototypen für ein neues autonom fahrendes Auto zeigte, kündigte der Haupteigner des Autoherstellers einerseits das Fahrzeug und den dazugehörigen Fahrdienst für 2027 an. Andererseits räumte er ein, dass er öfter mal „zu optimistisch“ bei seinen Ankündigungen sei. Es kann also auch sein, dass das „Cybercab“ getaufte Fahrzeug und das zugehörige Geschäftsmodell erst später starten. Immerhin will Tesla laut der Ankündigung bereits ab dem kommenden Jahr die Technik in Kalifornien erproben, dafür werden dann umgebaute Versionen aktueller Tesla-Fahrzeuge benutzt. Vielleicht gibt es sie also tatsächlich irgendwann einmal, die große, autonom fahrende Flotte von Tesla-Roboterautos, die jedermann per App nutzen kann und die billiger fährt als der Stadtbus.
Man muss allerdings daran erinnern, dass Musk so etwas schon öfter versprochen hat. So hat er 2016 gesagt, die Technik sei praktisch fertig und Tesla brächte sie 2017 auf den Markt. Den Käufern seiner Fahrzeuge hat er versprochen, dass sie ihre Autos zum Geldverdienen autonom in der Gegend herumfahren lassen könnten, als Taxidienste – sobald die Genehmigung da sei, würden die entsprechenden Funktionen freigeschaltet werden können. Davon hat er beim Hollywood-Studio jetzt nicht mehr gesprochen. Stattdessen soll das Cybercab nun als neues Fahrzeug mit neuer Technik kommen.
Musk passt sich Konkurrenz an
Bemerkenswert an der Präsentation ist ihr offener performativer Widerspruch: Musk hatte sie angesetzt, um zu zeigen, dass Tesla immer noch disruptiv und innovativ ist. Und dass seine Firma damit die hohe Aktienbewertung im Vergleich zu traditionellen Herstellern rechtfertigt. Denn innerhalb des vergangenen Jahres hatte es genau daran unter Analysten und Investoren zunehmend Zweifel gegeben: Die Gewinnmarge des Konzerns ist dermaßen abgerutscht, dass die Frage aufkam, ob Tesla nicht viel mehr wie ein Traditionshersteller behandelt werden muss. Das Wort „legacy“, das für die „alten“ Hersteller wie Ford, GM, VW, Toyota verwenden wird, war lange eines von Elon Musks Schimpfworten. Von all diesen wollte er sich mit der Cybercab-Präsentation wieder deutlich absetzen.
Gleichzeitig, und darin liegt der Widerspruch, machte er damit aber das, was traditionell diese alten Hersteller machen: Mit Showcars und Prototypen versuchen, Hoffnung zu erzeugen. In der Tech-Logik, der Tesla eigentlich anhängt, ist es eigentlich erstrebenswert, sich nicht mit Prototypen aufzuhalten, sondern schnell mit Innovationen zu kommen – man kann ja das Produkt bei möglichen Unzulänglichkeiten durch ein Software-Update optimieren.
Immerhin konnte Teslas Cybercab bei der Präsentation bereits autonom fahren – auf dem Warner-Bros.-Studiogelände, das nicht zum öffentlichen Straßenraum zählt. So führte Tesla zwar das Fahrzeug vor, dieses musste weder dichten Alltagsverkehr bewältigen noch andere Autos, Fußgänger, Radfahrer, Hunde beachten. Vielsagend wäre, wenn stimmt, was bislang unbestätigte Berichte sagen: Dass Tesla vor der Vorführung das Gelände aufwändig digital vermessen haben soll, um eine dreidimensionale virtuelle Karte davon zu modellieren. Denn in der Vergangenheit hatte Musk immer betont, seine Autos würden autonom fahren können, ohne eine solche virtuelle Karte zu benötigen.
Mehr Designobjekt als praxistauglich
Und das Auto selbst, dessen Design einige Beobachter an das Kleinserienfahrzeug VW XL1 erinnert, das der deutsche „Legacy“-Konzern vor zehn Jahren auf den Markt brachte (auch wenn das Tesla-Modell anders als das Deutsche kein Lenkrad hat)? Es ist zweifelhaft, ob ein zweisitziges Coupé mit riesigen Flügeltüren, wie es Tesla jetzt zeigte, das richtige für einen Taxidienst ist. Die Google-Schwesterfirma Waymo, die seit dem Sommer in San Francisco regulär autonome Taxidienste anbietet, nutzt hochbauende Fünftürer von Jaguar. Die Toyota-Partnerfirma May fährt mit Großraumlimousinen, die hinten eine Schiebetür haben. Schön sind die Autos beider Anbieter nicht – aber praktisch.
10-10-24 Wie wahrscheinlich ist die Goolge Zerschlagung?
Das Tesla-Fahrzeug scheint dagegen vor allem auf Anerkennung als Designobjekt hin gestaltet zu sein und nach Maßstäben der „alten“ Autowelt. Dafür sprechen auch die Flügeltüren, ein Element, das bei Autoenthusiasten – und auch bei Elon Musk seit Teslas flügeltürenbewehrtem Model X – mit gewissen Sehnsüchten verbunden wist. Es ist aber weder besonders praktisch oder effizient nutzbar, noch lässt es eine einigermaßen kostengünstige Produktion zu. Die aber hat Musk eigentlich im Auge. Denn er sagte in dem Filmstudio, dass das Cybercab unter 30.000 Dollar kosten werde und man damit einen Massenmarkt erreichen wolle. Gegen beides spricht das Design. Euphorie weckte es zwar bei den vielen Tesla-Jüngern, die Musks Firma zu der Präsentation geladen hatte. Doch die Aktie des Unternehmens gab vor Börsenöffnung zunächst um fünf Prozent nach. Sie war nach den enttäuschenden Margenzahlen zum ersten Quartal zunächst stark gefallen. Dann aber hatte Musk das Cybercab-Event angesetzt und die Aktie hatte wieder um rund 50 Prozent zugelegt.
Die Flugpreise im europäischen Ausland sind meistens günstiger als hierzulande. Das liegt vor allem an Steuern. Ryanair und Eurowings streichen deswegen nun tausende Flüge
Nach dem angekündigten Teilrückzug in Berlin will Ryanair auch in Hamburg sein Flugprogramm deutlich reduzieren und andere Standorte in Deutschland gar nicht mehr anfliegen. Der größte europäische Billigflieger begründete seinen Schritt für den Sommer 2025 am Donnerstag erneut mit den hohen Standortkosten für die Luftfahrt in Deutschland. „Ryanair wird den gesamten Betrieb in Dortmund, Dresden und Leipzig einstellen und das Flugangebot in Hamburg um 60 Prozent reduzieren, was zu einem Verlust von 1,8 Millionen Sitzplätzen führt“, sagte Ryanair-Airlinechef Eddie Wilson in Hamburg. Das deutsche Flugangebot für den Sommer 2025 werde damit um weitere zwölf Prozent gestrichen, 22 Strecken fallen weg.
„Deutschland hat erst 82 Prozent seines Verkehrsaufkommens von vor Covid wieder erreicht, was es zum bei weitem am schlechtesten abschneidenden Luftverkehrsmarkt in Europa macht“, erklärte Wilson. „Aufgrund dieser hohen staatlichen Steuern und Gebühren - den höchsten in Europa - sowie dem Hochpreis-Monopol von Lufthansa zahlen deutsche Bürger und Besucher nun die höchsten Flugpreise in Europa.“ Anders als in Deutschland wachse Ryanair in den EU-Wettbewerbern wie Schweden, Italien, Ungarn sowie Polen und habe dort die Kapazitäten erhöht. Grund seien die „pragmatischen und zukunftsorientierten Entscheidungen der Regierungen zur Senkung der Zugangskosten“.
Eurowings streicht 1000 Flüge in Hamburg
Der Chef der Lufthansa-Tochter Eurowings, Jens Bischof, erklärte, auch Eurowings werde in Hamburg wegen der Ankündigung höherer Kosten dort um rund 1000 Flüge im Jahr reduzieren. „Wir kämpfen mit rekordhohen Standortkosten“, sagte er beim DRV-Reisekongress in Berlin. Fluglinien, die ihre Assets dort einsetzen könnten, wo es am profitabelsten sei, „machen einen Bogen um Deutschland“, sagte Bischof, der auch Präsident des Lobbyverbands BDL ist. Dieser sprach von Alarmzeichen: „Die Kostenschraube für Luftverkehr in Deutschland ist überdreht.“
Der Flughafenverband ADV warnte, Deutschland verliere in der Luftfahrt weiter den Anschluss. Die Ryanair-Ankündigung zeige, dass der Standort zu teuer sei, sagte ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. „Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig.“
Fliegen soll sauber werden, mit grünem Kerosin. Eine neue Industrie entsteht
Der Hamburger Flughafen bedauerte den Beschluss von Ryanair und sieht dies als Folge massiv gestiegener Steuerbelastungen. „Allein die staatliche Luftverkehrssteuer hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt und wirft den Luftfahrtstandort Deutschland im europäischen Vergleich zurück.“ Aktuell biete Ryanair sechs Prozent der Sitzplatzkapazität im Hamburger Streckennetz und habe elf Direktziele im Angebot. Man sei zuversichtlich, schnellstmöglich Ersatz zu finden. Der Flughafen Dortmund sieht sich auch ohne Ryanair mit sechs Airlines gut aufgestellt.
In der Kostendebatte plädierte jüngst die Lufthansa dafür, dass Deutschland dem Beispiel Schwedens folgen und die Luftverkehrsteuer abschaffen sollte. „Gerade die deutsche Luftverkehrsteuer führt im europäischen Markt zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil.“
Merz offen für Korrekturen
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz räumte ein, dass auch Entscheidungen von früheren Unions-Regierungen dazu geführt hätten, dass die Kosten derzeit so hoch seien. Wenn die Folgen nun so gravierend seien, „dann müssen wir das korrigieren“, sagte der CDU-Chef auf dem DRV-Kongress.
Ryanair hatte bereits Ende August angekündigt, im Sommer 2025 ein Fünftel seines Flugangebots in Berlin wegen hoher Standortkosten zu streichen. Deshalb werde die Zahl der am BER-Airport stationierten Flugzeuge von neun auf sieben reduziert.
Seit fast zehn Jahren macht Jürgen Klopp Werbung für die DVAG, eine Finanzvertriebsfirma. Ein einträgliches Geschäft für beide – aber nicht unbedingt für die Kunden
„Als Coach selber gecoacht werden, kann ich nur empfehlen“, sagt Jürgen Klopp. In einem Werbefilm DVAG, Deutsche Vermögensberatung AG. Seit 2015 ist der Fußballtrainer Werbepartner der Frankfurter Finanzvertriebsfirma. Klopp, der Top-Coach, rät zum Coaching. Im Auftrag eines Unternehmens, dessen Vertriebsmethoden als umstritten gelten, Verbraucherschützer seit Jahren zur Vorsicht raten.
Die DVAG vermittelt Geldanlagen nahezu aller Art, unter anderem Versicherungen und Sparverträge zur Altersvorsorge. Verdient wird an den Provisionen, Umsatz im vergangenen Jahr mehr als zwei Milliarden Euro. Für diesen Umsatz sorgt ein Heer von mehr als 15.000 freien Handelsvertretern, Eigenbezeichnung: Vermögensberater. Die Vertriebler-Truppe ist straff organisiert über ein sogenanntes Pyramiden-System: Ganz unten die Masse der Verkäufer, ganz oben eine Direktionsleitung, die von den durchgeleiteten Provisionsanteilen der Untergeordneten sehr gut lebt, in der Spitze mit mehreren hunderttausend Euro Jahreseinkommen. So wundert es kaum, dass die Angebote der DVAG von Verbraucherschützern als vergleichsweise teuer eingestuft werden.
Promis gegen schlechtes Image
Promis wie Jürgen Klopp sollen das Image der DVAG aufpolieren, Seriosität verleihen. Dabei setzt das Unternehmen seit jeher auf Klasse statt Masse, auf Champions. Und auf langfristige Bindung, ganz im Sinne des gerne transportierten „Familienunternehmen“-Image. In den 1990ern sichert sich die Firma die Werbedienste von Formel 1-Rennfahrer Michael Schumacher, heute ist dessen Sohn Mick unter Vertrag der DVAG. Mit Jürgen Klopp schloss man 2015 einen Zehn-Jahres-Kontrakt. 2020 kursierten laut dem Brancheninformationsdienst „Versicherungswirtschaft-heute“ Schätzungen, wonach Klopp schon allein sein DVAG-Einstieg einen mittleren einstelligen Millionenbetrag eingebracht haben soll.
Dafür muss Jürgen Klopp einiges mit sich machen lassen, zuletzt auch so genannte „Deepfakes“: Im Frühjahr flimmert der Erfolgstrainer, geklont per KI-Tools, in 14 unterschiedlichen Berufen durch einen Werbespot der DVAG: Heil-Guru, Taxifahrer, Bäcker, Zahnarzt, Pilot, Koch, Landwirt, Bauarbeiter, Bergsteiger, Pfarrer, Feuerwehrmann, Rockstar und Werbezettel-Verteiler in der Fußgängerzone.
„Es gibt so viele Möglichkeiten, wie ich mein Leben hätte führen können“, sagt Klopp im Spot. Ob dieses besser oder schlechter verlaufen wäre, ob es besser zu ihm gepasst hätte, könne er nicht wissen. Er sei „jedenfalls froh, Menschen um mich zu haben, die mich in den wichtigen Momenten gut beraten.“ So, wie es die Berater der DVAG machen, versteht sich.
Dass man weder mit Deepfakes noch manchem DVAG-Angebot besonders gut beraten ist, scheint keinen der Beteiligten zu kümmern.
Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört.
Die Bundesregierung hat erneut ihre Wachstumsprognose gesenkt. Das dramatische Ausmaß der Krise werde deutlich, wenn man ein paar Jahre zurückblicke, meint der Wirtschaftsweise Achim Truger
Herr Truger, wir stecken nicht nur in einer einfachen Rezession, sondern die Bundesregierung prognostiziert jetzt auch ein zweites Jahr Rezession. Wie dramatisch ist das?
ACHIM TRUGER: Seit zwei Jahren schon wird immer wieder eine Erholung vorhergesagt. Die verzögert sich dann jedes Mal, und es wird auch schwächer und schlechter als erwartet. Laut aktuellen Prognosen steht für das laufende Jahr beim Wirtschaftswachstum schon wieder ein Minus vor dem Komma und auch fürs kommende Jahr wird nur eine schwache Erholung vorhergesagt. Man könnte sagen, das ist zwar eine ungewöhnlich lange Schwächephase, aber es ist noch nicht besonders dramatisch. Dramatisch wird es dadurch, dass die deutsche Wirtschaft seit 2019 praktisch nicht mehr gewachsen ist. Wir haben den Corona-Schock gehabt und danach die Energiekrise. Wir liegen jetzt mehr als fünf Prozent unter dem vor der Krise prognostizierten Wachstumstrend. Das ist wirklich dramatisch.
Ist das noch eine Konjunkturkrise oder eher eine strukturelle Wachstumsschwäche?
Man findet in jeder Krise immer konjunkturelle und strukturelle Dinge. Das geht auch teilweise fließend ineinander über. Eindeutig konjunkturell ist beispielsweise, dass der private Konsum nicht anspringt. Der ist erstmal auf Tauchstation gegangen, weil die Realeinkommen durch die hohe Inflation massiv runtergegangen sind. Das war ein riesiger, negativer Realeinkommensschock. Seit dem laufenden Jahr wachsen die Reallöhne wieder, sind aber noch weit vom Vorkrisenniveau entfernt. Dazu kommt eine hohe Verunsicherung bei Verbrauchern und Unternehmen.
Andere Krisenfaktoren sind eher struktureller Natur?
Schwieriger einzuordnen sind die Exporte und die schwache Entwicklung in der Industrie. Die Weltkonjunktur hat inzwischen deutlich angezogen. Aber das spiegelt sich nicht im Auftragseingang und den Exporten der deutschen Industrie wider. Es sieht danach aus, als ob sich die Nachfrage nach deutschen Industrieprodukten strukturell verändert. Ein Faktor dabei ist die verschlechterte Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der erhöhten Energiepreise in Deutschland. Ein zweiter Faktor ist China. China hat seine Strategie geändert, ist jetzt massiv in bislang klassische deutsche Absatzmärkte vorgedrungen. Das macht sich sowohl bei den deutschen Exporten nach China als auch in Drittmärkten bemerkbar. Wir spüren hier die Ausläufer eines neuen China-Schocks.
Im Fokus der wirtschaftspolitischen Debatte stehen noch andere strukturelle Krisenfaktoren, verbunden immer mit dem Ruf nach entsprechenden Reformen: die hohen Arbeitskosten, die Steuerlast, die überbordende Bürokratie.
Das sind Dauerbrenner, die immer bemüht werden. Deregulierung und Bürokratieabbau sind Klassiker. Und manche machen jetzt das Bürgergeld dafür verantwortlich, dass die Leute angeblich faul sind und vom Arbeiten abgehalten werden. Für mich sind das Nebenkriegsschauplätze. Natürlich wäre es wichtig, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, vielleicht auch die Arbeitsanreize zu verbessern oder in die Bildung und Infrastruktur zu investieren. Das ist alles richtig. Aber das sind Dauerbrenner, die nicht die akute Krise erklären.
Wie erklären Sie die akute Krise?
Die akute Krise kommt maßgeblich daher, dass wir noch immer an den Folgen von Corona und insbesondere der Energiekrise leiden. Das hat die Unternehmen massiv belastet. Und bei der Energie zeichnet sich ja immer noch keine Entwarnung ab. Das verunsichert und verhindert Investitionen. Allein die Unsicherheit über die Finanz- und Wirtschaftspolitik ist ein Problem. Ich glaube, die Bundesregierung und wahrscheinlich auch die Ökonomen, also mich eingeschlossen, haben unterschätzt, was zum Beispiel dieser vorzeitige Wegfall der E-Auto-Prämie auslöst. Dasselbe gilt für Förderprogramme, etwa zur energetischen Sanierung, die jetzt nicht in dem Volumen laufen, wie sie sollten. Alles wegen knapper Kassen. In der jetzigen Situation geht es darum, einen Aufschwung hinzubekommen. Hier wäre ein Anschub durch die Finanzpolitik sinnvoll, aber zumindest keine Kürzungen und keine restriktive Finanzpolitik. Die Streitigkeiten innerhalb der Ampelkoalition und dieses aus meiner Sicht vollkommen falsche Festhalten an einer sehr eng ausgelegten Schuldenbremse befördern diese Krise. Da versündigt sich vor allem die FDP am Aufschwung.
An diese Analyse schließt sich die Frage an: Wie kommen wir aus dieser Krise wieder heraus?
Die Situation ist schwierig. Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsinitiative vorgelegt und müsste die angesichts der Dramatik der Krise natürlich schnell verabschieden. Was da drinsteht, belastet aber die öffentlichen Haushalte. Der geplante Abbau der kalten Progression beispielsweise wird die öffentlichen Haushalte kräftig über mehrere Jahre belasten. Auch Abschreibungsvergünstigungen, die grundsätzlich sinnvoll sind, kosten viel Geld, besonders die Kommunen. Das hilft niemandem, wenn dann die Kommunen als wichtigste Investoren die öffentlichen Investitionen zurückfahren. Der entscheidende Fehler der Bundesregierung war, dass sie viel zu früh aus dem Krisenmodus umgeschaltet hat und schon 2023 meinte, ein Ende der „außergewöhnlichen Notlage“ erklären zu können, die das Aussetzen der Schuldenbremse ermöglichte. Der ehrliche Weg wäre gewesen zu sagen: Das ist eine massive Krise und wir müssen die Ausnahmeregel so lange ziehen, wie sie andauert. Dann hätte man jetzt nicht die Finanzierungsprobleme. Und auf keinen Fall hätte man Kürzungsprogramme für die öffentlichen Haushalte auflegen dürfen.
Aber genau das ist passiert. Was für Möglichkeiten hat die Regierung jetzt noch?
Im Grunde genommen müsste die Bundesregierung jetzt wieder eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen. Aus meiner Sicht wäre eine Notlage im Jahr 2025 im Rahmen der Schuldenbremse gerechtfertigt. Wenn man bei der Wirtschaftsleistung mehr als fünf Prozent unter dem Vorkrisentrend liegt und die Prognosen immer noch nicht wirklich aufwärts zeigen, kann man rechtfertigen, dass man noch mal richtig Geld in die Hand nimmt, um die Wirtschaft anzuschieben. Ich weiß, dass das in der aktuellen politischen Konstellation schwierig ist. Die Bundesregierung bekommt ja ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie 2023 sagt, die Notlage sei vorbei, und nun soll sie plötzlich wieder da sein. Da hat sich die Ampel in eine schwierige Lage manövriert. Realistisch gesehen sollte die Regierung jetzt zumindest finanzpolitisch nicht weiter kürzen. Bei den Energiepreisen muss sie sehen, dass sie mit einer Überbrückung für Investitionssicherheit sorgt.
Die Opposition, aber auch Unternehmens- und Verbandsvertreter setzen stark auf Reformen bei dem, was Sie Dauerbrenner nennen, etwa Deregulierung, Arbeitsanreize im Zweifelsfall durch Kürzung von Sozialleistungen. Es tauchte auch schon das Stichwort Agenda 2030 nach dem Vorbild von 2010 auf. Was würde das bringen?
Die Agenda 2010 kann meiner Ansicht nach gar kein Vorbild sein. Vieles, was man damals gemacht hat, hat erstmal massiv die Konjunktur beeinträchtigt. Man hat ganz großzügig Steuern gesenkt, was aber nicht gegenfinanziert war. Dann ist man gegen die Maastricht-Kriterien gelaufen und hat angefangen, wie wild zu kürzen. Ganz viel von der Investitionsmisere und der Unterbesetzung in der Verwaltung geht auf diese Phase zurück. Ansonsten hat man durch Schaffung des Niedriglohnsektors die Menschen verunsichert, für viele schlechte Jobs gesorgt und die Einkommensungleichheit verschärft. Außerdem: Damals gab es Massenarbeitslosigkeit, heute haben wir Fachkräftemangel.
Wie will man da die Knute auspacken und die Arbeitskräfte gängeln, die man eigentlich hofieren müsste?
Was die Debatte über das Bürgergeld angeht, halte ich sie einerseits für unehrlich, denn die Union hat ja die Inflationsanpassung mitgetragen. Und zum anderen glaube ich, dass dieses Nach-unten-treten nichts bringt. Es gibt verfassungsrechtlich enge Grenzen, was man beim Bürgergeld überhaupt machen kann. Ich finde eigentlich den Ansatz, es mit Anreizen wie einer Prämie für die Arbeitsaufnahme zu versuchen, vernünftig. Die Art, wie der Vorschlag jetzt verdammt wird, ist vollkommen unangemessen. Im Zweifel probiert man es mal aus.
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Im Kern geht es bei dieser Reformdebatte um die Wettbewerbsfähigkeit vor allem der Exportindustrie, die sich, wie sie auch sagen, verschlechtert hat. Wäre da ein Absenken der Arbeitskosten auch durch Zurückhaltung bei den Löhnen nicht hilfreich?
Ich denke nein, das bringt nicht viel. Man muss sich genau anschauen, was für Strukturprobleme die Industrie hat. Kostenprobleme? Ja, bei der Energie. Aber in dem neuen Konkurrenzkampf gegen China, da geht es in erster Linie nicht um Kosten. Da brauchen die deutschen Unternehmen, auch bei den Autos, andere konkurrenzfähige Produkte. Da muss man mehr investieren in hochwertige, besonders gute Produkte. Das macht man sicherlich nicht durch Lohnzurückhaltung.
Wie optimistisch sind Sie, dass Deutschlands Wirtschaft bald wieder aus dieser Krise herauskommt? Was die politischen Spielräume angeht, scheinen sie etwas resigniert zu haben.
Ich sehe diese große Differenz zwischen dem, was jetzt getan werden müsste und was gerade politisch realistisch erscheint. Aber das könnte nach der nächsten Bundestagswahl schon anders aussehen. Zentral ist eine Reform der Schuldenbremse. Ganz viele sehr notwendige Investitionen und auch ein kurzfristiges Anschieben der Wirtschaft sollten sinnvollerweise mit Schulden finanziert werden. Ich bin optimistisch, dass es eine Reform der Schuldenbremse, unabhängig von den künftigen Mehrheitsverhältnissen nach der nächsten Wahl, geben wird. Die Union hat sich da schon stark bewegt. Was mich dagegen beunruhigt, ist die hitzige, vergiftete Art, wie die Debatten – auch wirtschaftspolitische - geführt werden. Die Opposition hat die Grünen und gerade Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Buhmann für fast alle Probleme gemacht. Dabei hatten Regierung und Opposition in der Energiekrise doch noch einigermaßen zusammengestanden und gemeinsam viel Gutes geschafft. Es ist bedauerlich, dass sie diesen Geist nicht beibehalten haben, angesichts der nach wie vor großen Aufgaben.
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.
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Um die Lage am Häusermarkt zu verbessern, braucht es passendere Rahmenbedingungen und mehr Wertschöpfung, sagt Immobilienexperte Peter Hettenbach beim Vermögensaufbau-Gipfel von Capital, und bringt Lösungsvorschläge mit
Ein bekanntes Zitat, das gut zum Verhalten in der Immobilienbranche in den vergangenen Jahren passt, lautet: „Es ist dumm, immer dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten.“ Das sagt zumindest Immobilienexperte Peter Hettenbach auf dem Vermögensaufbau-Gipfel von Capital in Frankfurt. Bis Februar 2022 hätten die Niedrigzinsen den Immobilienmarkt in Gang gehalten, aber jetzt sehe man die Folgen. „Wir haben von 2008 bis 2022 im Immobilienmarkt alles verfrühstückt und jetzt kriegen wir es nicht mehr hin.“
Hettenbach ist Gründer des IIB-Instituts, das seit 25 Jahren auf Grundlage neuester Datensätze den Wohnimmobilienmarkt bewertet. Früher habe bei Immobilien bekanntermaßen nur „Lage, Lage, Lage“ gezählt. Das Objekt an sich sei „scheiß egal“ gewesen. Doch jetzt werde auch das Objekt wichtiger. Bezahlbarkeit und Heizlösungen sind mittlerweile ebenso relevante Herausforderungen.
Hohe Durchschnittspreise und eine Lücke im Neubau
Objekte verschiedener Energieklassen kosten jetzt nicht mehr einfach alle das Gleiche wie noch bis vor einigen Monaten, zeigt Hettenbach, sondern sie sortieren sich allmählich. Und: „Energieffizienz kostet.“
Wo sich der Immobilienkauf jetzt wieder lohnt
Aktuell seien überwiegend teuere Angebote im Markt und so gut wie kein Neubau. Durchschnittspreise wie etwa in Frankfurt von 6500 Euro pro Quadratmeter seien daher eigentlich als Bestandspreise zu verstehen. Außerdem komme kein Neubau nach, weil zum einen kaum Baugenehmigungen erteilt würden und zum anderen die Finanzierung unrealistisch sei. „Wir haben eine Lücke im Neubau“, sagt Hettenbach. „Es ist noch nicht alles aus, aber mit dem, was wir gerade an Rahmenbedingungen haben, wird der Markt nicht anspringen.“
Während man zumindest bei der Sanierung von Bestandsimmobilien vorankäme, seien die von der Bundesregierung angestrebten 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr „technisch und kaufmännisch unmöglich“ zu realisieren.
Banken bei Bauprojektfinanzierungen zurückhaltend
Ein Grund dafür sind die hohen Herstellungskosten. Mit Grundstück liegen sie in Frankfurt laut Hettenbach derzeit bei 5500 Euro pro Quadratemeter. Rechne man allerdings die Margen und Aufschläge für Projektentwickler, Bauträger und Co. drauf, sei man schon bei etwa 7000 Euro. „Das ist vom Finanzmarkt nicht abzudecken“, sagt der Experte. Er kenne viele in der Baubranche mit entwickelten Grundstücken, die sich mutige Banken wünschen, um loslegen zu können. Aber die Banken wollen gerade vor allem risikoarmes Geschäft und da gehören Immobilien nicht dazu.
Um den Markt wieder zu verbessern, müsse man nun über Mehreinnahmen und Wertschöpfung diskutieren und darüber, wie sich Betriebskosten und Kosten insgesamt senken lassen. Das passiere bisher viel zu wenig. Hettenbach rät, die Kommunalpolitiker direkt auf Kostenpunkte in ihrem Bereich anzusprechen, etwa auf die Grundsteuer oder Fernwärme. Vermietern schlägt er dazu beispielsweise vor, die einzelnen Stromleistungen der Mieter zu bündeln und bessere Konditionen mit den Energielieferanten auszuhandeln, von denen dann beide profitieren.
Strom bzw. Stromkosten ist aus seiner Sicht eines der zentralen Themen der kommenden Jahre. „Alles wird elektrisch“, sagt Hettenbach – nicht nur das Heizen mit der Wärmepumpe, sondern auch das Kühlen mit Klimaanlagen. Letztlich ließe sich der Traum vieler Deutscher von der eigenen Immobilie wohl nicht mehr ohne das Erbe der Eltern finanzieren.
Madeleine Ronner ist Fondsmanagerin beim mächtigen Vermögensverwalter DWS. Von den anhaltenden Sorgen um eine sich entglobalisierende Weltwirtschaft hält sie wenig. Anlegern macht sie sogar Hoffnung
Die Schlagzeilen waren zuletzt voll davon: Meldungen über Unternehmen, die ihre Fabriken zurück in die USA verlagern oder dort massiv investieren. Beispiel Intel: Der US-Chipriese will in den nächsten fünf Jahren 100 Mrd. US-Dollar in den Neu- oder Ausbau seiner Heimatwerke stecken.
Mit den Ursachen und Auswirkungen des sogenannten „Reshoring“ beschäftigt sich auch Madeleine Ronner vom Vermögensverwalter DWS. Auf dem Capital-Vermögensaufbaugipfel in Frankfurt veranschaulichte sie am Donnerstag die wichtigsten Treiber.
Gleich zu Anfang ihres Vortrags zum Thema „Reshoring – Mythos oder Realität? Konsequenzen für den Aktienmarkt“ warf die Fondsmanagerin ihre „Lieblingscharts“ an die Wand – zwei Diagramme, die greifbar machen sollen, wie radikal sich die Weltwirtschaft in Gestalt globaler Lieferketten, Handelsbeziehungen und Wettbewerbsstrukturen in den kommenden Jahren verändern könnte. So seien die Bauinvestitionen in US-Fabriken zuletzt um gut das Vierfache gestiegen, von 50 Mrd. US-Dollar im Jahr 2020 auf etwa 200 Mrd. Dollar im Jahr 2024.
Abwanderung bei Chips und Autos
Das deckt sich laut Ronner auch mit entsprechenden Ankündigungen der Unternehmen. „Vor allem im Halbleiter- und Automobilbereich beobachten wir seit der Corona-Pandemie ein starkes Interesse an der Rückverlagerung von Produktionskapazitäten“, sagt die Fondsmanagerin.
Dies habe nicht nur politische Gründe, etwa den schwelenden Handelskonflikt zwischen China und den USA oder den Brexit. Auch Fortschritte bei der Bildung, so Ronner, würden beispielsweise dafür sorgen, dass Facharbeiter in China mittlerweile mehr als doppelt so teuer seien wie noch vor zehn Jahren.
China noch lange „Produktionsbank der Welt“
Das wirft die Frage auf: Droht das jahrzehntelange Erfolgsmodell der Globalisierung gerade in seine Einzelteile zu verfallen? Um die Antwort vorwegzunehmen: Ganz so schlimm werde es wohl nicht kommen, „zumindest nicht in den nächsten Jahren“, glaubt DWS-Managerin Ronner.
Zwar sei es das erklärte Ziel Chinas, nicht länger „Produktionsbank der Welt“ zu sein. Auch habe sich die Volksrepublik in Kernmärkten wie der Automobilindustrie inzwischen sogar von einem Import- zu einem Exportland entwickelt, was die Abhängigkeit etwa zu den USA verringere. „Aber man darf hier jetzt nicht den Fehler machen und denken, dass die Wichtigkeit von China für die Industrieproduktion insgesamt abnimmt“, so Ronner. Sie verweist auf Zahlen, wonach Chinas 30-prozentiger Anteil an der weltweiten verarbeitenden Industrie in den letzten Jahren sogar gestiegen sei: „So viel zum Thema Deglobalisierung“.
Dazu sei die bloße Rückverlagerung von Produktionsstätten mit mehr Problemen verbunden, als so mancher Firmenlenker vielleicht auf Anhieb denke. Von den hohen Kosten abgesehen seien etwa Fachkräfte in entwickelten Ländern aufgrund niedriger Arbeitslosenzahlen schlicht kaum zu bekommen.
„Veränderte Globalisierung statt Deglobalisierung“
Und in Schwellenländern wie Mexiko? Dort hake es meist noch an Infrastruktur, meint Ronner. „Straßen, Schienen, Elektrizität, Häfen – all das muss natürlich erst einmal gebaut werden, bevor es zu einem großen Reshoring kommen kann“. Auch deshalb beschränke sich das Phänomen bislang nur auf wenige „kritische Güter“, Halbleiter zum Beispiel oder Erneuerbare Energien.
Das Fazit der Fondsmanagerin ist daher eindeutig: „Statt Deglobalisierung gibt es eine veränderte Globalisierung“. Vom vermeintlichen Trend hin zum Reshoring könnten Anleger laut Ronner übrigens dennoch profitieren. Neben Investitionen in Schwellenländern böten beispielsweise auch Firmen im Bereich Automatisierung und kritische Güter gute Chancen.
Das Investment in Anleihen kann sich in der Phase fallender Zinsen wieder lohnen, erklärt Experte Christian Kopf von Union Investment beim Capital-Vermögensaufbaugipfel. Welche Strategie jetzt die richtige ist
Vor zwei Jahren rutschten die Anleihenmärkte in den Keller. Die Illusion vieler Anleger durch das stetige Einkommen ihrer Anleihen kehrte sich brutal um, die Skepsis in diese Anlageform stieg. So beschreibt Christian Kopf, Head of Fixed Income bei Union Investment, die Situation der Rentenmärkte im Jahr 2022 auf dem Vermögensaufbau-Gipfel von Capital. Doch im gegenwärtigen Umfeld spreche wieder viel für Renten, sagt er. Die negative Korrelation zwischen Aktien und Renten, die 2022 so schmerzlich vermisst wurde, sei nun zurück.
2022 verzeichneten die Rentenmärkte die höchsten Verluste seit dem Zweiten Weltkrieg. Bei genauerem Hinsehen sei das nicht so unerwartet gekommen, wie viele meinen, erklärt Kopf. Der Grund: Rendite und Kurs bewegten sich bei Anleihen gegenläufig. Durch das Anheben des Leitzins durch die EZB seien die Renditen für Anleihen gestiegen, die laufende Verzinsung sei aber immer weiter gefallen. „Man hat nicht gemerkt, dass die Anleihen so wenig abwerfen, weil es immer noch Kursgewinne gab, die die niedrige Verzinsung übertüncht haben“, sagt Kopf. „Sie haben uns die Illusion gegeben, wir hätten eine schöne Anlage – hatten wir aber nicht.“
Denn neue Anleihen mussten mit höheren Coupons ausgegeben werden – frustrierend für alle mit Altanleihen, deren Kurs fiel. Anders als bei Aktien sei aber zumindest nicht viel verloren, weil Anleihen am Ende ihrer Laufzeit wieder beim Nennwert tilgen. „Das Schöne an Anleihen ist, dass wir genau berechnen können, was wir am Ende für einen Ertrag haben werden“, sagt Kopf. Festverzinsliche Wertpapiere seien berechenbar. „Sie gehen am Ende wieder hoch auf Pari.“
Anleihen müssen „rein mathematisch“ Gewinne abwerfen
Nun könnten viele seiner Kunden es kaum erwarten, wieder aus ihren Anleihen auszusteigen. Kopf hält das jedoch für den falschen Ansatz. 2024 sei ein gutes Jahr für die Anleihemärkte, da die laufende Verzinsung wieder höher ist als die Renditen. Bis Mitte nächsten Jahres erwartet die Union Investment eine Senkung des Einlagezins der EZB auf 2,25 Prozent. Daher stünden Anlegern nun „rein mathematisch“ Kursgewinne bevor. Jetzt, wo die Zinswende im vollen Gange sei, sollten sie die Laufzeit ihrer Rentenpapiere im Portfolio verlängern.07-10-24 EZB-Vorschau
Durch die rückläufigen Renditen auf europäische Unternehmensanleihen hätten Anleihen in den vergangenen zwölf Monaten bereits einen Gewinn von 9,6 Prozent abgeworfen. „Gerade wenn man bei hohen Renditen einkauft, gibt es einen nahezu garantierten Gewinn“, sagt Kopf. In dieser Phase fallender Zinsen empfiehlt er außerdem auf länger laufende Anleihen zu setzen und etwa den bisherigen Bar-Anteil im Portfolio nun dafür zu investieren – aber ohne zu spekulieren.
Lieber solle man auf die soliden, bonitätsstarken Unternehmen setzen, die man aber jetzt für ein Vielfaches der vorherigen Renditen kaufen könne.
Muss die Schuldenbremse weg? Oder gibt es andere Wege aus der Krise? Darüber diskutieren die beiden Top-Ökonomen Lars Feld und Sebastian Dullien auf dem Capital-Vermögensaufbaugipfel in Frankfurt
Lars Feld ist Chefberater von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Im Interview erklärt er, warum Deutschland in der Krise steckt und warum er mit seinen Vorschlägen kaum durchdringt
Lars Feld ist Chefberater von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Im Interview erklärt er, warum Deutschland in der Krise steckt und warum er mit seinen Vorschlägen kaum durchdringt
Die Bahn macht was sie will und die Politik schaut zu. Verkehrsminister Wissing wollte stärker reingrätschen, doch ein Papier des Rechnungshofs zeigt, wie ihn Bahn-Chef Lutz – deutscher Jugendmeister im Schach – matt gesetzt hat
Gutachten des Bundesrechnungshofs können quälend sein. Dann, wenn sie anfangen kleinlich zu rechnen, statt die großen Verschwendungen zu rügen. Doch das jüngste Gutachten der obersten Haushaltsprüfer ist ein Page-Turner. Es geht um die Bahn und den Bund, um Macht und Abhängigkeit und wie es die Bahn geschafft hat, ihren Eigentümer völlig einzulullen. Ein feines Lehrstück darüber, wie der vermeintlich Schwächere den Stärkeren bezwingt und das zur großen Geldverschleuderung führt. So jedenfalls sehen es die Rechnungsprüfer. Und sie haben dafür viele, viele Beispiele. Auf 33 Seiten beschreiben die Gutachter, warum die DB heute ihren Eigentümer, den Bund, steuert und nicht umgekehrt. Schuld daran hat aus ihrer Sicht vor allem einer: Bundesverkehrsminister Volker Wissing.
Als der FDP-Mann 2021 überraschend das Amt des Bundesverkehrsministers übernahm, dachten viele noch, dass die Bahn nun ihre Allmacht über die Infrastruktur verliert und der Liberale ernst macht mit einem Umbau des Staatkonzerns. Nach Jahrzehnten minder interessierter oder begabter CSU-Verkehrsminister erschien Wissing als Lichtfigur, der sich ernsthaft für die Bahn einsetzen, es aber auch mit ihr aufnehmen wollte. So kündigte Wissing im Juni 2022 an, sich stärker einzumischen und die Sanierung der Bahn zu kontrollieren, dafür wurde unter anderem eine „Steuerungsgruppe Transformation DB AG” eingerichtet.
Schienennetz gar nicht so marode
Doch statt stärker reinzugrätschen, lässt er sich umgarnen. Bahnchef Richard Lutz gab den reuigen Sünder, hämmerte dem Minister aber auch ein, dass die Infrastruktur vor allem deshalb so mies sei, weil die Bahn stets zu wenig Geld für ihr Schienennetz bekommen habe. Allerdings stimmte schon in dieser Erzählung vieles nicht, merkwürdig vor allem, dass bis 2022 das Netz sich im tadellosen Zustand befunden haben soll, amtlich bescheinigt vom Eisenbahnbundesamt. Aber das ist noch eine andere Geschichte. Lutz jedenfalls schaffte, was viele nicht für möglich gehalten hatten. Er blieb der Bahnchef.17-05-24 Beamtenpensionen
Was folgte, war eine Bahnreform light. Die DB gründete eine neue Tochterfirma namens DB Infrago. Darin gebündelt: Schienennetz und die Bahnhöfe. Kaum noch ist die Rede von Doppelstrukturen, zu großem Wasserkopf und Managementfehlern. Stattdessen eine neue Hülle mit altem Kern, bei der die DB weiter auf der Kommandobrücke steht und die Politik winkend am Rand.
Bahn-Tochter Infrago von Bahn kontrolliert, der Bund schaut zu
Wie das möglich ist, wo doch der Bund Milliarden gibt und ihm der Laden vollständig gehört, rekonstruiert der Bericht. Zehn der 20 Mandate hatte der Bund im Aufsichtsrat der DB Infrago AG für sich gefordert. Eine „Bundesbank [, die] nicht mehr überstimmt werden kann“, war das Ziel, heißt es dort. Die DB AG „hat dies jedoch nicht zugelassen”, zitieren die Prüfer aus einer Stellungnahme des Verkehrsministeriums. Und siehe da: Der Bund erhält lediglich fünf von 20 Mandaten.
Gekämpft hat der Bund auch um den Posten des Aufsichtsratsvorsitz der DB Infrago AG, ein wichtiges Instrument für die Steuerung. Doch die DB AG pochte darauf, dass sie den Posten bekommt. Es folgte ein Spitzengespräch zwischen Lutz und Wissing – und Berthold Huber, der DB-Konzernvorstand für Infrastruktur hatte den Job in Doppelfunktion. Dennoch sei das die „größte Bahnreform seit 1994”, urteilt Minister Wissing unverdrossen und bewertet seine Rolle so: „Ich glaube, enger wurde die Bahn in der Infrastruktur noch nie geführt”.
Erbärmliches Spiel
All das ist keine Enthüllung, doch in der Zusammenschau erbärmlich. Gerne wüsste man, wie Lutz – deutscher Jugendmeister im Schach – Wissing schachmatt gesetzt hat und warum Wissing so wenig auf seine eigenen Leute hört. Darum geht es in vielen Stellen im Bericht. So habe etwa die „die Arbeitsebene des BMDV früh das Interesse der DB AG” erkannt, schreiben die Rechnungsprüfer. Der Konzern habe das „Ziel, mehr Bundesgeld mit weniger Kontrolle zu erlangen”. Trotzdem gelang dem BMDV nicht, „die Interessen des Bundes wie gewünscht zu stärken”.DVAG Heft
Ein Beispiel dafür ist auch die Umstellung der Finanzierung von Zuschüssen auf Eigenmittel, wodurch die Politik die Macht noch weiter aus der Hand gibt. Für die Rechungsprüfer ist all das „nicht akzeptabel”. Es begründe Zweifel, ob das BMDV und die DB AG derzeit angemessen aufgestellt seien.
Zur Ehrenrettung Wissings aber soll angemerkt sein, dass er gescheitert ist an dem, was seine Vorgänger im Ministerium gar nicht erst versucht haben.
Zu Jahresbeginn überraschte Finanz-Youtuber Thomas Kehl mit einer eigenen App zum Verwalten von Aktiendepots. Trotz großer Konkurrenz behauptet sich das Angebot im Markt. Von dem Erfolg profitiert auch ein Fintech-Partner im Hintergrund
Beim Stöbern im App Store zeigte sich in den vergangenen Tagen ein ungewohntes Bild: Unter den zehn beliebtesten Gratis-Apps für das iPhone fanden sich nicht ausnahmslos Anwendungen von Google, Meta oder Temu. Auch eine junge Finanz-App aus Deutschland rangierte auf den vorderen Plätzen, sogar vor Instagram und Telegram: die Rede ist von Copilot.
Dabei handelt es sich um einen Portfolio-Tracker, den die Finanzplattform Finanzfluss zu Jahresbeginn startete. Zunächst nur für den Browser entwickelt, ist Copilot seit Wochenbeginn auch für Smartphones mit iOS und Android verfügbar. Rund 90.000 Mal wurde die App nach Schätzungen des Analysedienstes Appfigures bereits heruntergeladen. Mit Copilot lassen sich Vermögensbestände wie Aktien oder ETFs zusammenführen und analysieren, etwa hinsichtlich möglicher Anlagerisiken.
So viele Nutzer haben sich registriert
Vorbild für das Angebot waren Fintechs wie Finanzguru, Getquin oder Parqet. Anfangs schlug der Gründer leise Töne an: „Wir wollen erstmal eine größere Zahl an Nutzern aufbauen und Erfahrungen sammeln, dann werden wir überlegen, wie wir Copilot monetarisieren“, sagte Finanzfluss-Chef Thomas Kehl zum Start im vergangenen Februar. Kehl ist vor allem für seinen gleichnamigen Youtube-Finanzkanal mit mehr als 1,3 Millionen Abonnenten bekannt.
08-10-24 C+ ETF im Fokus Bankaktien
Ein Dreivierteljahr später scheint sich das Tool im Markt zu behaupten, wie nicht nur die aktuellen App-Charts von Apple nahelegen. Rund 200.000 Nutzerinnen und Nutzer hätten sich bisher für Copilot registriert, sagt Kehl nun. „Das liegt zum jetzigen Zeitpunkt bereits über unseren Erwartungen, auch wenn die Zahl der aktiven Nutzer natürlich kleiner ist“. Konkreter will Kehl mit Blick auf die Konkurrenz nicht werden.
„Der Copilot ist für uns noch ein Verlustgeschäft“
Das Wachstum sei jedoch stabil, pro Tag kämen derzeit zwischen 300 und 500 neue Nutzer dazu. „Organisch und ganz ohne Ausgaben für Marketing“, wie Kehl betont. Ein vor wenigen Tagen auf dem Youtube-Kanal veröffentlichtes Video zum App-Launch dürfte die Nachfrage nach dem Copilot zusätzlich angeheizt haben. Für den Finanzfluss-Chef passt das Angebot in die Zeit: Gerade junge Menschen seien bei der Wahl ihrer Bank nicht mehr festgelegt, zum Girokonto bei der Sparkasse komme meist noch ein Tagesgeldkonto bei einer Direktbank und ein Depot bei einem Neobroker dazu. „Der Bedarf an Tools zum Verwalten und Analysieren der eigenen Finanzsituation ist groß“, meint Kehl.
Noch aber ist die Finanz-App für den Gründer ein Verlustgeschäft. Das Unternehmen leistet sich Kehl zufolge ein größeres Team an Entwicklern. Obendrein steckt die Monetarisierung des Angebots noch in den Kinderschuhen.
Zwar können Copilot-Nutzer seit kurzem zusätzliche Features gegen Aufpreis dazubuchen, das kostet neun Euro im Monat. Allerdings entscheiden sich laut Kehl derzeit weniger als zehn Prozent der Nutzerinnen und Nutzer für das Bezahlabo. Der Funktionsumfang sei schlicht noch zu gering, In den nächsten Monaten werde das Angebot jedoch schrittweise ausgebaut. „Zu den gefragtesten Features zählen erweiterte Renditekennzahlen und ein Dividendenkalender“, so Kehl.
Wachstumsschub für Fintech-Partner
Von dem Erfolg der Finanz-App profitiert derweil auch ein weiteres Fintech. Das Berliner Finanz-Startup WealthAPI fungiert als Kontopartner im Hintergrund und ermöglicht Nutzern das Einbinden ihrer Konten und Depots in die Copilot-App. Pro neuem Nutzer erhält WealthAPI eine Gebühr. „Unsere Umsätze entwickeln sich planmäßig und sind seit Jahresbeginn weiterhin stark gewachsen“, teilt eine Sprecherin mit. Derzeit arbeitet das Fintech mit zehn Partnern zusammen, zu den größten dürften neben Finanzfluss etwa die Fondsplattformen ExtraETF und Onvista zählen.
Hinter WealthAPI stehen mit André Rabenstein und Wolfram Stacklies zwei weniger bekannte Köpfe in der Fintech-Szene. Beide bauten zuvor allerdings Rentablo auf, einen Online-Fondsdiscounter. Den Schnittstellenanbieter WealthAPI starteten Rabenstein und Stacklies erst vor zwei Jahren. „Um unser Wachstum weiter zu verstärken, sondieren wir gerade eine weitere Finanzierungsrunde“, heißt es vom Fintech weiter. Hierzu gebe es verschiedene Optionen, sowohl mit den bestehenden Investoren als auch VCs.
Daran denkt Finanzfluss-Chef Thomas Kehl nicht. Er hat seine Finanzplattform 2016 gegründet und seitdem ganz ohne fremdes Kapital aufgebaut. „Dabei wird auch erstmal bleiben“, sagt Kehl, unabhängig vom weiteren Erfolg etwa beim Copilot. Die Pläne für die Finanz-App seien aber klar: „Bis Ende nächsten Jahres soll das Angebot profitabel sein“.
Dieser Text erschien zuerst bei Finance Forward, dem Magazin für die neue Finanzwelt, das in Kooperation zwischen Capital und OMR entsteht