Capital Wirtschaftsnachrichten
Während Präsident Trump die US-Wirtschaft in Turbulenzen stürzt, fassen die deutschen Verbraucher wieder Vertrauen. Die deutsche Wirtschaft wächst im ersten Quartal gar
Noch vor 100 Tagen wäre diese Meldung nahezu undenkbar gewesen: Die deutsche und europäische Wirtschaft wächst wieder. Zwar homöopathisch in Deutschland, um 0,2 Prozent im ersten Quartal – aber immerhin, und auch immerhin besser als in den USA, wo Experten sogar ein Schrumpfen für das erste Quartal erwarten. In Europa fällt das Wachstum mit 0,4 Prozent sogar doppelt so hoch aus wie erwartet.
Noch besser scheint aber, dass es so weitergehen könnte. Jedenfalls deuten jüngste Daten zum Verbrauchervertrauen darauf hin. Demnach sind die Deutschen durch höhere Reallöhne wieder bereit, mehr zu konsumieren – was wiederum ganz anders ist als in den USA, wo das Verbrauchervertrauen zuletzt auf den zweittiefsten jemals gemessenen Wert gefallen ist. Es ist zwar noch früh, aber möglicherweise entkoppeln sich Deutschland und Europa gerade von den USA – und das wegen eines Mannes, der seit 100 Tagen im Amt ist: US-Präsident Donald Trump.
Trumps erratische Wirtschaftspolitik hat das Land im Eiltempo ins Chaos gestürzt und Europa gestärkt. Rein an den Aktienkursen bemessen, ist Trump inzwischen der zweitschlechteste Präsident seit Richard Nixon, dessen autoritäres Vorgehen Trump bewundert. 1973, unter Nixon, stand der Leitindex S&P 500 nach 100 Tagen im Amt rund 10 Prozent im Minus. Bei Trump sind es nunmehr 7,8 Prozent. Allerdings fielen die Börsen damals global, während die Märkte jetzt außerhalb der USA besser performen – und vor allem der Dollar hielt sich damals weitestgehend stabil. All diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Krise vor allem auf Trumps Konto geht.
US-Wirtschaft dürfte schrumpfen
Die endgültigen Zahlen zum US-BIP werden zwar erst am Mittwochabend erwartet. Doch Experten rechnen fest damit, dass die US-Wirtschaft im ersten Quartal geschrumpft ist. Interessanterweise bedingen sich die US-Schwäche und das deutsche Wachstum dabei gegenseitig. Denn ein Grund, warum Deutschland gewachsen ist, lag in vorgezogenen Exporten in die USA. Einfach gesagt, wollten sich US-Firmen vor den angedrohten Zöllen noch einmal mit Waren eindecken. Das sorgt dafür, dass beim deutschen BIP die Außenhandelsbilanz wächst – das BIP steigt also –, während die USA ein größeres Außenhandelsdefizit im ersten Quartal ausweisen – sprich: Das BIP sinkt.
Dies ist allerdings ein Sondereffekt durch die Zölle, der sich im kommenden Quartal wieder normalisieren könnte. Die Konjunkturforscher vom Ifo-Institut wollen das deutsche Wirtschaftswachstum daher auch nicht überbewerten. „Die Exporte und die Industrieproduktion in Deutschland haben von der verschärften US-Zollpolitik im ersten Quartal profitiert“, erklärt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Es sei aber keineswegs sicher, dass es so weiter gehe.
Nettoeffekt noch unklar
Wollmershäuser identifiziert zahlreiche gegenläufige Entwicklungen. Auf der einen Seite gebe es eine hohe Unsicherheit bei den Unternehmen, die insbesondere durch Trumps Zollpolitik und den Folgen für die globalen Lieferketten entstehe. „Das belastet den weiteren Verlauf der Konjunktur in Deutschland“, sagt Wollmershäuser. Auf der anderen Seite hat sich der Geschäftsklimaindex zuletzt viermal in Folge leicht verbessert. Zudem seien die Zahlen deutscher Unternehmen gut, das Verbrauchervertrauen sei wieder gestiegen, und die neue Bundesregierung könnte durch das angekündigte Schuldenpakete schnell Impulse geben.
Welche Effekte letztlich überwiegen, bleibt abzuwarten. Konjunkturforscher schauen aber insbesondere auf das bessere Konsumklima in Deutschland, weil dies eine Art makroökonomische Spirale in Gang setzen könnte. Eine bessere Stimmung im Land dürfte auch heimische Unternehmen dazu bewegen, optimistischer in die Zukunft zu schauen – und hierzulande zu investieren. Anlass zur Hoffnung geben etwa der breite GfK-Konsumklimaindex und der tech-lastige NIQ Consumer Tech Trends Report. Beide zeigen, dass die Konsumenten der deutschen und europäischen Wirtschaft zurück auf den Wachstumspfad helfen könnten.
Die Strafzölle der US-Regierung beeinflussen zwar auch die Kaufentscheidungen deutscher Konsumenten. Fast jeder Zweite ist laut der NIQ-Umfrage besorgt, dass diese Einfluss auf die eigene finanzielle Situation haben könnte. Doch die Reaktion fällt womöglich anders aus als von Trump erwartet. Laut NIQ könnte kritischer konsumiert werden und ein neuer „Konsumpatriotismus“ entstehen.
Statistiken bleiben vorerst verzerrt
Die Daten zeigen bereits eine wachsende Kaufzurückhaltung gegenüber Produkten aus den USA. „Insgesamt geben 72 Prozent der Deutschen an, künftig weniger US-Produkte und -Marken kaufen zu wollen – ein deutliches Signal, das sich besonders im Technikbereich zeigt“, heißt es im Bericht. Diese Zurückhaltung sei kein Zufall. „Preissteigerungen infolge von Zöllen, aber auch ein bewussterer Umgang mit Herkunft und Marke spielen eine immer größere Rolle“, heißt es weiter.
Das heißt: Auch wenn die BIP-Zahlen für das erste Quartal jetzt mit Vorsicht zu genießen sind, und die Statistiken durch die Vorzieheffekte noch einige Quartale verzerrt sein werden – der darunterliegende Trend könnte durchaus nachhaltig sein. Deutschland und Europa werden also womöglich von Trumps Chaos netto profitieren. Vorfreude scheint allerdings verfrüht – dafür ist die Unsicherheit bislang noch zu hoch.
Bei seinem Noch-Arbeitgeber ist Karsten Wildberger Gehaltsmillionär. Das ändert sich für den künftigen Digitalminister – und auch zwei seiner Amtskollegen nehmen Einbußen in Kauf
Wer den Job wechselt, dem ist neben einem guten Betriebsklima und herausfordernden Aufgaben oft eines wichtig: mehr Gehalt. Gerade jene, die freiwillig gehen oder abgeworben werden, können ihre Bezüge deutlich steigern. Knapp sieben Prozent mehr sind laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung im Schnitt drin, andere Erhebungen sprechen sogar von bis zu 30 Prozent.
Doch wie so oft gibt es natürlich Ausnahmen von dieser Regel. Menschen beispielsweise, die aus Spitzenpositionen in der Wirtschaft in die Politik wechseln, tun dies meist nicht aus finanziellen Gründen – im Gegenteil: Für sie bedeutet der Seitenwechsel oft einen drastischen Gehaltsverzicht.
Zuletzt fast drei Millionen Euro verdient
So auch bei Karsten Wildberger. Der promovierte Physiker und bisherige Vorstandsvorsitzende des Handelskonzerns Ceconomy – der Muttergesellschaft der Elektronikmärkte Media Markt und Saturn – wird künftig im Kabinett von Bundeskanzler Friedrich Merz als Bundesminister für Digitales dienen.
Bei Ceconomy erhielt Wildberger zuletzt ein Jahresgehalt von 2,8 Mio. Euro. Die Bezüge setzten sich laut Vergütungsbericht zusammen aus einem Grundsälär (1,45 Mio. Euro), Nebenleistungen (22.000 Euro) und variablen Boni (1,33 Mio. Euro). Damit zählte Wildberger zu den Top-Verdienern der deutschen Wirtschaft, als Minister sinken seine Bezüge auf einen Bruchteil davon.
Dieses Gehalt bekommt Wildberger als Minister
In Zahlen ausgedrückt: Karsten Wildberger erhält in der kommenden Legislaturperiode ein monatliches Gehalt von 17.990 Euro im Monat. Aufs Jahr gerechnet ergibt das rund 216.000 Euro. Für den langjährigen Konzernlenker Wildberger bedeutet das ein Gehaltsminus von ungefähr 92 Prozent. Finanziell also ein entbehrungsreicher Jobwechsel.
Auch zwei seiner künftigen Amtskollegen dürften in ihrer neuen Rolle Einbußen in Kauf nehmen, darunter die designierte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. Die 51-Jährige leitete zuletzt die Westenergie AG, eine Essener Tochter des Energieriesen Eon. Ihre letzten Bezüge sind nicht öffentlich, sie liegen aber wahrscheinlich niedriger als jene von Karsten Wildberger. Ähnlich dürfte es bei Wolfram Weimer aussehen: Der Verleger und ehemalige Chefredakteur ("Die Welt" und "Berliner Morgenpost") ist als Kulturstaatsminister vorgesehen.
Warum die Manager in die Politik gehen
Dass die Manager ins politische Lager wechseln, hat dem Vernehmen nach unterschiedliche Gründe. Karsten Wildberger dürfte vor allem die Aufgabe reizen, den „gordischen Knoten bei der Verwaltungsdigitalisierung“ zu durchschlagen. „Wir reden seit Jahren über Bürokratieabbau. Jeder erzählt das, aber es passiert nicht genug, weil es wird in Netto mehr und nicht weniger. Wir müssen uns ehrlich machen” sagte Wildberger dazu bereits im November in einem Podcast mit OMR. Möglicherweise sei man im politischen System „mehrfach falsch abgebogen“. Für ihn gehe es darum, die „Steuerungsfähigkeit“ wiederherzustellen.
Die Managerin Katherina Reiche wiederum hegte laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) schon länger Ambitionen für den Eon-Konzernvorstand, soll sich nun aber für die politische Top-Liga entschieden haben. Dass sie aus dem Osten stammt und eine Frau ist, soll bei ihrer Auswahl durchaus eine Rolle gespielt haben. Laut einem Insider sei sie zudem „hervorragend vernetzt – in beide Richtungen.“ Gemeint sind damit Politik und Wirtschaft, an deren Schnittstelle sich Reiche besonders gut zurechtfinden soll.
Ob sich die Pläne für sie und Karsten Wildberger bewahrheiten, wird sich nun zeigen müssen. Sollten ihre politischen Karrieren vorzeitig enden, gibt es übrigens eine Entschädigung: Bereits nach einem Tag Amtszeit stehen einem Bundesminister rund 81.000 Euro Übergangsgeld zu.
In seinen ersten 100 Tagen erließ Donald Trump drastische Zölle, feuerte tausende Regierungsmitarbeiter und unterschrieb Dutzende Dekrete. Ein Überblick in Zahlen.
1. Inflation
Die Inflation hat Donald Trump ins Amt gehievt. Sie war nicht das einzige Wahlkampfthema, aber für viele das wohl greifbarste. Die Wähler spürten sie direkt – an der Supermarktkasse, an der Zapfsäule, im Alltag. Trump versprach schnelle Entlastung. Joe Biden wurde für den Preisanstieg der Vorjahre abgestraft.
Höhepunkt der Verteuerung war der Sommer 2022. Seitdem steigen die Preise langsamer, aber sie steigen. Auch unter Trump. Die erhoffte Erleichterung bleibt bislang aus.
Der demokratische Senator Mark Kelly postete Mitte April einen Kassenzettel über 47 Dollar: ein Salat, ein Glas Erdnussbutter, ein Dutzend Eier, Milch, Brot, Rinderhack und Rosinenkleie. Ein Mindestlohnverdiener in Arizona müsse dafür mehr als drei Stunden arbeiten.
Besonders der Eierpreis wurde zum Symbol der hohen Preise: Zeitweise kostete ein Dutzend mehr als sechs Dollar, leere Regale weckten unschöne Erinnerungen an Engpässe während der Coronapandemie. Kurz vor Ostern 2025 bat Trumps Regierung Europa um Nachschub.
Bald schon könnte selbst das eine rosige Erinnerung sein: Wenn Trump die Welt tatsächlich mit Zöllen überzieht, dürften die Preise in den USA auf breiter Front wieder anziehen. Damit rechnet neben Fachleuten auch die breite Masse: Laut einer Umfrage der Universität Michigan erwarten die Menschen für das kommende Jahr eine Teuerung von 6,7 Prozent.
2. Zölle
Der US-Präsident sagt, seine Zollpolitik könnte einfacher nicht sein: „Was sie uns antun, tun wir ihnen an.“ Handelshürden, die Partner wie Kanada und Mexiko, die EU, China aber auch Kambodscha aufgebaut hätten, wolle man schlicht ausgleichen. Mithilfe genereller Preisaufschläge auf Einfuhren aus diesen Ländern.
Kanada und Mexiko waren die Ersten, gegen die Trump den Zollhammer schwang: Mit 25 Prozent auf alle Einfuhren drohte er seinen Nachbarländern – und zog rasch zurück. Die nordamerikanische Freihandelszone ist ein eng verflochtenes Handelsnetz, bei der Fertigung US-amerikanischer Autos etwa überqueren manche Teile mehrmals die Grenzen. Im Falle eines Handelskriegs drohen steigende Preise und Arbeitsplatzverluste – auch in den USA.
Der EU gegenüber bauten die USA bisher vor allem Druck auf. Trump zeterte, drohte mit Strafzöllen auf europäische Autos und Weine, sagte, die EU sei nur gegründet worden, um die Vereinigten Staaten „zu verarschen“. Am 9. April traten tatsächlich US-Importzölle auf Waren aus der EU in Kraft: „Sie zocken uns ab, wir berechnen ihnen 20 Prozent.“ Nur Stunden später war der EU-Spezialzoll wieder ausgesetzt. Üblich blieb ein universaler, weltweiter Zollsatz von zehn Prozent – und die Unsicherheit.
China ist das Land, bei dem Trump in seiner Zollpolitik bisher keine Ausnahmen macht, nicht zurückzieht. So schaukelten sich die beiden Supermächte in wenigen Wochen auf ein Zollniveau, von dem China sagt: Ab rund 150 Prozent Preisaufschlag lohnt es nicht mehr, US-Produkte in den chinesischen Markt einzuführen. Effektiv sei das Ende der Eskalationsspirale erreicht, weitere Zollschritte sind demnach reines Spektakel.
„Ohhhh schauen Sie sich Kambodscha an“, rief Trump am 2. April mit seiner mittlerweile berüchtigten Zolltafel in der Hand: „Sie haben ein Vermögen mit uns gemacht.“ Tatsächlich sind die USA der wichtigste Handelspartner Kambodschas. Vor allem Schuhe und Textilien liefert das Land, diese Exporte machen rund 40 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Reich wird damit aber niemand. Die Lohnkosten für ein Shirt liegen im Cent-Bereich.
Trumps Zölle auf kambodschanische Waren sind für 90 Tage ausgesetzt. Sollten sie Ende Juli wieder greifen, wird das zwei Gruppen treffen: Die erste produziert in Kambodscha, Vietnam oder Myanmar für wenig Geld Klamotten, Smartphones oder Spielzeug. Die zweite Gruppe kauft diese Güter in den USA – für wenig Geld. Wenn Trump Ernst macht, dürften viele Arbeiterinnen und Arbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren, Konsumentinnen und Konsumenten in den USA sich vieles nicht mehr leisten können.
Das könnte für Trump zu einem Problem werden. Dann nämlich, wenn die Menschen ihren Lebensstandard in Gefahr sehen und dieses Gefühl in Unzufriedenheit umschlägt.
3. Zufriedenheit
Derzeit bewegt sich die Ablehnung, die Trump erfährt, auf einem ähnlichen Niveau wie schon nach den ersten hundert Tagen seiner ersten Amtszeit: Jede zweite Person ist unzufrieden.
Gleichzeitig sind mehr Amerikaner mit der Arbeit des Präsidenten einverstanden als in seiner ersten Amtszeit. Warum Zustimmung und Ablehnung dieses Mal näher beieinander liegen? Möglicherweise, weil Menschen sich klarer einem politischen Lager zuordnen, weil sie einzelne politische Maßnahmen unterschiedlicher bewerten.
Beispiel Zollpolitik: Das Pew Research Center konnte in einer Umfrage zwei Gruppen ausmachen. Eine befürwortete die von Trump angedrohten und verhängten Zölle zu 70 Prozent, die andere Gruppe lehnte sie zu 90 Prozent ab. Die erste Gruppe verortete sich politisch bei den Republikanern, die zweite eher bei den Demokraten. Dass politische Zugehörigkeit die Bewertung einer Einzelmaßnahme beeinflusst, überrascht nicht. Das Ausmaß aber schon.
Durchschnittswerte zeigen dennoch klar, auf welchen Gebieten Trump punktet und wo eher nicht: Mit seiner Wirtschaftspolitik sind weniger Menschen zufrieden als mit seiner Einwanderungspolitik. Auch hier wächst die Ablehnung seiner Politik langsam, die Zustimmung sinkt, aber auf einem anderen Niveau. Die Hälfte der Befragten ist hier immer noch zufrieden mit Trumps Kurs.
4. Sparmaßnahmen
Ob Trumps Drohen mit Zöllen, das Abschieben von Eingewanderten oder das Versprechen von Trumps Berater Elon Musk, Milliarden einzusparen und dafür Tausende zu entlassen; alles ist groß, schnell und viel.
Gerade Musk und seine Doge genannte Sparabteilung lagen damit aber auch immer wieder spektakulär daneben. Auf der Doge-Webseite werden angebliche Einsparungen aufgezählt: so zu Beginn des Jahres auch ein gekündigter Vertrag mit einem Dienstleister der Einwanderungsbehörde ICE. 8 Mrd. Dollar wollten Musk und seine Leute dem US-amerikanischen Fiskus gerettet haben – offenbar ein schlichter Zahlendreher. Tatsächlich war die Sparmaßnahme laut „New York Times“ maximal acht Millionen wert.
Ähnlich überdimensioniert die Meldung, Doge habe dreimal 655 Mio. Dollar eingespart. Der US-Sender CBS recherchierte, wies auf ein Missverständnis hin: Musks Team hatte offensichtlich das Vertragssystem der US-Regierung missverstanden und globale Vertrags-Obergrenzen fälschlich als tatsächlich verplante Summe gewertet. Anstelle der fast 2 Mrd. Dollar stehen auf der Doge-Webseite mittlerweile 18 Millionen.
Ein Projekt, das nur teilweise eingestellt worden war, deklarierte die Nicht-Behörde als vollständig gestrichen – und verbuchte so 232 Millionen als eingespart – tatsächlich waren es 560.000 Dollar. Die untenstehende Grafik verdeutlicht die Unterschiede bei den geschilderten Beispielen.
Doge reklamierte darüber hinaus auch eine Einsparung für sich, bei der der zugehörige Vertrag bereits unter Präsident Biden gekündigt worden war. Wie kommen solche Fehler zustande? Laut einem Reporter der „New York Times“ melden US-Behörden ihre Einsparungen an Doge – und Doge prüft sie offenbar nicht richtig. Zumindest in der konservativen bis rechten Medienlandschaft gibt der Erfolg dieser Strategie recht. Bei Fox News etwa werden Musks Manöver gefeiert. Ein weiterer Aspekt, der das Doge-Bild trübt: Durch nicht beachtete Kosten, die die Sparabteilung verursacht, könnten auch die tatsächlichen Einsparungen fast vollständig verpuffen.
5. Gesetze und Dekrete
So wie Musk im Stakkato neue Milliardeneinsparungen verkündet, so unterschreibt Trump Dutzende Dekrete auf einen Schlag. Gerichte brauchen so Monate, um die Verfassungswidrigkeit jeder einzelnen Verordnung zu prüfen. Doch wenn sich der Staub dann gelegt hat, ist es oft zu spät.
Die US-Verfassungsrechtlerin Jodi Short von der UCLA San Francisco sagt dazu im Gespräch mit dem stern: „Die Regierung wird es geschafft haben, eine Reihe von Behörden auszuhöhlen.“ Per Verordnung, im Widerspruch zu geltendem Recht – bevor auch nur irgendein Gericht eine Seite Protokoll produziert hat.
Short verweist auf Daten, die zeigen sollen, dass gefeuerte Angestellte sehr selten an ihren Arbeitsplatz zurückkehren: „Sie verlangen womöglich Schadensersatz, aber kaum jemand versucht, wieder eingestellt zu werden.“ Nach einer Zählung der Nachrichtenagentur sind Trump und Musk seit dem 20. Januar so 260.000 Beamte losgeworden: entlassen, zurückgetreten, pensioniert.
„Ich denke, die Regierung versucht, vieles hinter den Kulissen zu regeln – statt offen Verantwortung dafür zu übernehmen“
Das Mittel der Wahl dabei: die sogenannten Executive Orders. Im deutschen Rechtssystem finden sie keine Entsprechung, werden meist als Dekrete oder Verfügungen bezeichnet. Mit ihnen fordert der US-Präsident Bundesbehörden direkt zum Handeln auf – und kann so den Kongress umgehen. Die Order schafft kein neues Gesetz, kann aber bestehende Gesetze präzisieren, ihre Umsetzung anstoßen oder einen Notstand ausrufen. Aufgehoben werden kann sie nur durch Gerichte, den Kongress oder den nächsten Präsidenten.
Trump nutzt dieses Mittel nicht nur freizügig, sondern auch oft. Mehr als 130 Dekrete hat er in den ersten 100 Tagen seiner zweiten Amtszeit bereits unterzeichnet – unter Barack Obama waren es im gleichen Zeitraum sechs Stück. Frappierend: Das Erarbeiten echter Gesetze scheint Trumps Regierung aufgegeben zu haben. Ganze vier hat der Präsident bisher unterschrieben, in seiner ersten Amtszeit waren es zum gleichen Zeitpunkt 127.
Warum dieser Schwenk weg von den Gesetzen hin zum Dekret? „Gesetzgebung ist kompliziert und geschieht öffentlich, Gesetzgebung ist politisch“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Short: „Ich denke, die Regierung versucht, vieles hinter den Kulissen zu regeln – statt offen Verantwortung dafür zu übernehmen.“
Der Nachteil des Regierens per Dekret: Der nächste Präsident, die nächste Präsidentin oder ein Gericht können die Verordnungen zurücknehmen. Formal arbeitet Trump mit dem Papierkorb im Nacken. Im politischen Raum der USA aber scheint derzeit vieles möglich. Trump setze darauf, dass die Gerichte mitzögen, wenn Fakten erst einmal geschaffen seien, sagt Short.
Sie prognostiziert: Trump und das Rechtssystem werden irgendwann aufeinanderprallen. Der Präsident aber hoffe offensichtlich, die Wirklichkeit vorher so stark verändert, die öffentliche Meinung so weit verschoben zu haben, dass es gar nicht zum Konflikt kommt. "Ich glaube, das ist, was er vorhat", sagt Short: „Aber ich denke, wir sind noch nicht so weit.“
Quellen: Bureau of Labor Statistics, CBS, Doge, GIZ, „New York Times“, Pew Research Center, „The Intercept“, Real Clear Polling, US-Kongress/Nationalarchiv
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Blackout in Spanien: Warum in Deutschland die Lichter nicht ausgehen – vorerst jedenfalls | Capital+
Das Vertrauen in den Euro ist zurückgekehrt, stellt Deutschlands oberster Schuldenmanager Tammo Diemer fest. Und das hat auch mit der Politik von US-Präsident Trump zu tun
Das Vertrauen internationaler Investoren in den Euro wächst nach Einschätzung des wichtigsten deutschen Schuldenmanagers wieder. „Es gibt eine große Zuversicht internationaler Investoren für Europa“, sagte Tammo Diemer, Geschäftsführer der Finanzagentur des Bundes, am Montagabend in Frankfurt während einer Veranstaltung des Internationalen Clubs Frankfurter Wirtschaftsjournalisten.
Diemer war in den Tagen im März in Asien unterwegs, als die deutsche Politik ihren „Doppelwumms“ verkündete: mehr Geld für Infrastruktur und Verteidigung, finanziert durch Sondervermögen genannte Extra-Haushalte und eine Aufweichung der ohnehin umstrittenen Schuldenbremse. Mit den Stimmen von CDU, SPD und Grünen wurde das im Grundgesetz verankert, was Diemer zufolge sehr wohlwollend von seinen Gesprächspartnern in Asien aufgenommen wurde. „Alle schauen auf Deutschland und fragen sich, ob wir nach fünf Jahren Stagnation wieder wachsen“, berichtete Diemer. Die lange Phase der Stagnation sei nicht das, „was internationale Investoren von der drittgrößten Volkswirtschaft erwarten“.
Angesichts des erratischen Politik der US-Administration unter Präsident Donald Trump wird sich Diemers Einschätzung zufolge China weiter von US-Staatsanleihen trennen. „China baut kontinuierlich Dollar ab und Euro auf“, sagte er. „Es gibt großes Zutrauen, jetzt, da wir in Europa nach vorn schauen.“ Allerdings werde die chinesische Notenbank seiner Einschätzung nach nicht in den Verkaufsmodus bei US-Staatsanleihen gehen, sondern vielmehr beim Auslaufen von Anleihen die zurückfließenden Mittel in Bonds in Euro umschichten. Aktuell sind rund 20 Prozent der globalen Währungsreserven in Euro investiert, aber knapp 60 Prozent in Dollar. Kleine Anteile entfallen unter anderem auf Pfund, Yen, Renminbi sowie die Dollar aus Kanada und Australien.
Keine Nachfrage nach gemeinsamen Eurobonds
Die in akademischen Kreisen und zum Teilen von der Politik geführten Diskussionen um irgendeine Form gemeinsamer europäischer Anleihen geht hingegen nach Diemers Einschätzung am Bedarf der Investoren vorbei. „Es gibt keine Investorennachfrage nach gemeinsamen Euro-Anleihen“, sagte der Geschäftsführer der Finanzagentur. Es gebe mit Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien vier große Emittenten in der Eurozone, die rund drei Viertel des Marktes abdeckten und ein unterschiedliches Profil an Rendite und Bonität bieten, „Investoren sind darin geübt, ihre Auswahl zu treffen“, sagte Diemer. Während Bundesanleihen als Benchmark für die Eurozone betrachtet werden, bieten die drei anderen Länder etwas höhere Rendite bei allerdings geringerer Bonität und damit etwas höherem Risiko.
Der Schuldenmanager des Bundes – offiziell Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH – will in diesem Jahr nach früheren Mitteilungen in diesem Jahr rund 380 Mrd. Euro über Auktionen am Markt aufnehmen.
Wie die zusätzlichen Mittel für die Sondervermögen aufgebracht werden sollen, dazu äußerte sich Diemer nicht. Sein Haus werde seine Pläne machen, wenn es Haushaltspläne gebe. Allerdings deutete er an, dass neue Produkte vorstellbar seien. Schon in diesem Jahr will der Bund wieder eine Anleihe mit sieben Jahren Laufzeit emittieren. Außerdem denkt die Finanzagentur offenbar auch über Bundesanleihen mit 50 Jahren Laufzeit nach.
Spanien und Portugal haben einen gewaltigen Stromausfall erlebt. Zahlungen waren nur noch mit Bargeld möglich. So kann man sich auf einen derartigen Blackout vorbereiten
Bargeldloses Bezahlen ist bequem. Ob mit EC- oder Kreditkarte oder per Smartphone-App – elektronische und digitale Zahlungsmittel erleichtern den Alltag. Einzelne Läden setzen hierzulande noch auf "Cash only", in Supermärkten und Restaurants braucht man aber kaum noch ein Portemonnaie voller Münzen und Geldscheine.
Der massive Stromausfall in Spanien zu Beginn der Woche hat allerdings gezeigt: In Krisenzeiten ist Bargeld Gold wert.
So viel Bargeld sollten Sie zur Verfügung haben
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) fordert die Menschen in Deutschland auf, sich für den Ausfall essenzieller Infrastruktur zu rüsten. "Ich appelliere an die Bürgerinnen und Bürger: Bereiten Sie sich auf Notlagen vor, dies kann auch länger andauernder Stromausfall sein", sagte BBK-Vizepräsident René Funk dem Portal "t-online" im Dezember. "Notlagen müssen nicht eintreten, sind aber jederzeit möglich."
Dem BBK zufolge sollte jeder Haushalt immer eine ausreichende Menge an Bargeld zur Verfügung haben. Wie viel das ist, hängt von der Haushaltsgröße ab. Das BBK hält sich mit genauen Empfehlungen zurück, der Zivilschutz Österreich rät zu einer Bargeldreserve von rund 500 Euro in kleineren Scheinen. Laut der letzten umfangreichen Studie der Deutschen Bundesbank aus dem Jahr 2018 bewahren Privatpersonen in Deutschland durchschnittlich 1364 Euro zu Hause oder in einem Schließfach auf.
Bargeld in den eigenen vier Wänden zu lagern, birgt aber auch Risiken. Es empfiehlt sich, einen Tresor anzuschaffen und das Geld dort einzuschließen. Von offensichtlichen Verstecken wie Matratzen raten Experten ab.
Und was ist, wenn der Vorrat aufgebraucht ist? Komme ich bei einem Stromausfall noch an weiteres Bargeld?
Stromausfall erschwert Zugang zu Bargeld
Die Bundesbank betont, auf Krisenfälle vorbereitet und auszahlungsfähig zu sein. Das versicherte Vorstandsmitglied Johannes Beermann laut der "Welt" bei einem Pressegespräch zu Zeiten der Energiekrise vor drei Jahren. "Bei uns lagert so viel Bargeld, so viel braucht kein Mensch", sagte er, "auch in der Krise." Ein funktionierender Bargeldkreislauf spült immerhin auch wieder Geld zurück in die Bundesbankfilialen.
Beermann zufolge gebe es an einigen Standorten zusätzliche strategische Reserven, einige Filialen verfügten über Notstromaggregate, und die Bundesbank gehöre zur kritischen Infrastruktur – die Bundesnetzagentur würde sie in Krisenfällen also bevorzugt mit Strom versorgen.
Allerdings gilt die Bundesbank als Großhändler, das Bargeld gelangt über private Wertdienstleister zu Geschäftsbanken. Dort können Kunden das Geld dann etwa an Automaten abheben.
Bei einem Stromausfall funktionieren Geldautomaten jedoch ebenso wenig wie Zahlungen per Karte oder App. Die gute Nachricht: Bankkunden können trotzdem an Geld gelangen. Die schlechte Nachricht: Sie müssen dafür vor Ort an einen Schalter gehen, und die meist elektronisch gesicherten Tresore der jeweiligen Bank müssen sich noch manuell öffnen lassen.
In Spanien offenbarte die Krise, welche Nachteile dadurch entstehen: Es bildeten sich lange Warteschlangen vor den Banken.
Immer weniger Anlaufstellen für Bargeld
In ihrem jüngsten Monatsbericht wies die Bundesbank darauf hin, dass die Anlaufstellen für Bargeld hierzulande rapide zurückgegangen seien. Demnach leben mittlerweile 3,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Gemeinden ohne Bankschalter oder Geldautomaten.
Im Jahr 2002 hätten noch circa 53.000 Bankfilialen existiert, hieß es, doch die Anzahl habe sich bis zum Jahr 2023 mehr als halbiert auf rund 21.000. Die Zahl der Geldautomaten sei bis zum Jahr 2018 zwar auf rund 59.000 gestiegen, seither lasse sich aber ein stetiger Rückgang beobachten. Aktuell seien es noch etwa 51.000 Geräte.
Vor diesem Hintergrund will die Bundesbank die Verfügbarkeit von Bankstellen, Geldautomaten und Ladenkassen, an denen man Bargeld abheben kann, prüfen. Letztlich ist die effektivste Vorsorge-Maßnahme für Bürger wohl nach wie vor, einen gesicherten Bargeldvorrat für den Krisenfall zu Hause zu haben.
Mit Material der Nachrichtenagentur AFP
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Dank Donald Trump feiern die Liberalen in Kanada einen unerwarteten Wahlsieg. Premierminister Carney kündigt einen harten Kurs gegen den US-Präsidenten an, der Kanada zum 51. Bundesstaat machen will
Nach dem Sieg seiner liberalen Partei bei der Parlamentswahl in Kanada will Premierminister Mark Carney sich der aggressiven Politik von Präsident Donald Trump im Nachbarland USA entschlossen entgegenstellen. „Präsident Trump versucht, uns zu brechen, damit Amerika uns besitzen kann, aber das wird niemals passieren“, sagte Carney in seiner Siegesrede. „Wir werden diesen Handelskrieg gewinnen“, sagte er vor jubelnden Anhängern.
Hintergrund sind wiederholte Drohungen Trumps, Kanada als 51. Bundesstaat zu annektieren. Zudem hat Trump hohe Zölle gegen das Nachbarland in Kraft gesetzt, dessen Volkswirtschaft aufs eng mit der Amerikas verflochten ist.
Sein konservativer Gegenkandidat Pierre Poilievre, dessen Politikstil mehr an den von Trump erinnert, gestand die Niederlage ein und gratulierte Carney. Seine Partei werde in der Opposition „ihren Job machen und die Regierung zur Verantwortung ziehen“.
Die Liberalen erhalten nach Auszählung in rund 99 Prozent der Wahllokale voraussichtlich 168 Sitze im Parlament in der Hauptstadt Ottawa – und bleiben damit knapp unter der absoluten Mehrheit von 172. Die Konservativen kommen demnach auf 144 Mandate. Dritte Kraft wird mit voraussichtlich 23 Sitzen die Regionalpartei Bloc Québécois.
Poilievre verlor bei der Wahl sogar seinen Sitz im Parlament, den er seit 2004 innehatte. Stattdessen gewann im Wahlkreis in der Hauptstadt Ottawa Prognosen der Wahlbehörde zufolge der liberale Kandidat Bruce Fanjoy. Auch der Spitzenkandidat der sozialdemokratischen New Democratic Party, Jagmeet Singh, verlor seinen Sitz in einem Wahlkreis in der westkanadischen Provinz British Columbia – und kündigte seinen Rücktritt an.
Carney: „Schock des amerikanischen Verrats überwunden“
„Amerika will unser Land, unsere Ressourcen, unser Wasser“, warnte Carney in seiner Rede in Ottawa mit Blick auf Trump. Dies seien keine leeren Drohungen. Man müsse anerkennen, dass sich die Welt grundlegend verändert habe. „Unsere alte Beziehung mit den USA, eine Beziehung, die auf stetig zunehmender Verflechtung beruhte, ist vorbei“, sagte Carney weiter. „Wir haben den Schock des amerikanischen Verrats überwunden, aber wir sollten die Lektionen nie vergessen.“ Kanada werde seine Beziehungen „zu verlässlichen Partnern“ in Europa, Asien und anderen Teilen der Welt stärken.
Es ist die vierte Parlamentswahl in Folge, die die kanadischen Liberalen für sich entscheiden können, was in der Geschichte des G7-Landes ungewöhnlich ist. Rund 29 Millionen Menschen waren im flächenmäßig zweitgrößten Land der Erde zur Wahl aufgerufen. Die Abgeordneten werden per Direktwahl bestimmt.
Der liberale Wirtschaftsexperte Carney hatte die Posten des Parteivorsitzenden und Premierministers erst vor wenigen Wochen nach einer parteiinternen Abstimmung von Justin Trudeau übernommen, der Anfang des Jahres angesichts sinkender Beliebtheit nach rund zehn Jahren seinen Rückzug angekündigt hatte. Carney wurde erstmals auch ins Parlament gewählt.
Die Einmischung Trumps hatte den Wahlkampf in Kanada komplett auf den Kopf gestellt: Lange lagen die oppositionellen Konservativen in Umfragen scheinbar uneinholbar vorn, doch im Widerstand gegen den US-Präsidenten rückten die Kanadier zusammen und versammelten sich nun überwiegend hinter Carney. Noch am Wahltag forderte Trump die Kanadier erneut auf, einer Eingliederung in die USA als 51. Staat zuzustimmen.
Erfahrener Krisenmanager gegen „Canada First“-Kandidat
Der 60-jährige Carney bringt nationale und internationale Krisenerfahrung mit. Während der Finanzkrise leitete der aus Alberta stammende Politiker ab 2008 die kanadische Zentralbank. Zwischen 2013 und 2020 war Carney während der turbulenten Brexit-Phase Zentralbankchef in Großbritannien, anschließend bis Januar dieses Jahres UN-Sondergesandter für Klimaschutz. Er plädiert für eine engere Zusammenarbeit mit Europa und Asien, um die Handelsabhängigkeit von den USA zu verringern. „In Krisen bin ich am nützlichsten. In Friedenszeiten bin ich nicht so gut“, sagte er im Wahlkampf.
Der politische Stil des konservativen Spitzenkandidaten Poilievre trägt dagegen klare Trump-Anleihen. So sprach der 45-Jährige, der für niedrige Steuern und Kürzungen bei Staatsausgaben steht, ebenfalls von Fake-News, einer woken Ideologie linksradikaler Kräfte und versprach, Kanada immer an erste Stelle setzen zu wollen - „Canada First“. Das kam lange gut an – doch dann kam Trump.
Der Meinungsforscherin Shachi Kurl vom Angus Reid Institute zufolge führten drei Faktoren zum Sieg der Liberalen. "Es war der 'Jeder-außer-Konservative'-Faktor, es war der Faktor der Trump-Zölle, und dann war es der Abgang von Trudeau, ... der es vielen Wählern des linken Zentrums und der traditionellen Liberalen ermöglichte, zur Partei zurückzukehren." Weitere zentrale Wahlkampfthemen waren der starke Anstieg der Lebenshaltungskosten, steigende Mieten, der Zugang zu bezahlbarem Wohneigentum sowie Gesundheitsfürsorge und Migration.
Die Wahl fand zudem auch unter dem Eindruck eines tragischen Vorfalls in der Westküstenmetropole Vancouver am Wochenende statt: Bei einem Straßenfest der philippinischen Gemeinde fuhr ein Mann mit einem Auto in eine Menschenmenge und tötete mindestens elf Menschen. Ein verdächtiger 30-Jähriger wurde festgenommen. Die Polizei zeigte sich überzeugt, dass es sich nicht um einen Terrorakt handele.
Donald Trump hat in seinen ersten 100 Tagen als US-Präsident die Wirtschaftspolitik auf den Kopf gestellt – und Amerikas Handelspartner brüskiert. Wer profitiert, wer verliert?
Donald Trump hat in seinen ersten 100 Tagen als US-Präsident die Wirtschaftspolitik auf den Kopf gestellt – und Amerikas Handelspartner brüskiert. Wer profitiert, wer verliert?
Der Sportartikelhersteller Adidas hat erneut starke Zahlen vorgelegt. Normalerweise hätte Chef Bjørn Gulden auch die Prognose erhöht, wäre da nicht die Unsicherheit in den USA
Als US-Präsident Donald Trump am 2. April Zölle gegen die ganze Welt verhängte, verlor nahezu jedes börsennotierte Unternehmen an Wert. Doch selbst innerhalb dieses breiten Abverkaufs wurde eine Branche besonders hart getroffen: Sportartikelhersteller wie Nike, Adidas und On. Die Rechnung dahinter funktioniert denkbar einfach: Weil diese Unternehmen den Großteil ihrer Ware in Asien und vor allem in China produzieren, werden die Importe in die USA deutlich teurer. Diese höheren Preise übersetzten sich dann aber nicht in höheren Umsätzen, sondern in sinkender Nachfrage, befürchteten Investoren und schickten die Aktien daher auf Talfahrt.
Einen knappen Monat später sieht die Lage schon etwas entspannter aus. Donald Trump hat die Zölle für viele Regionen vorerst bei zehn Prozent gedeckelt und auch die Quartalsergebnisse bei vielen Produzenten stimmen zuversichtlich. Und genau diese Zuversicht wollte auch Adidas-CEO Bjørn Gulden auf der Analystenkonferenz zu den jüngsten Quartalszahlen vermitteln. Ja, es gebe Unsicherheiten aus den USA – aber das Geschäft laufe weiter gut, wie schon in den vergangenen Monaten bei Adidas. Wenn alles glattläuft, könnten die restlichen Regionen die negativen Auswirkungen in den USA am Ende mindestens kompensieren. Deshalb hält Adidas auch an seiner Gesamtprognose von 1,7 bis 1,8 Mrd. Euro Ergebnis in diesem Jahr fest. Ohne die Unsicherheit hätte Gulden aber wohl die Prognose angehoben, wie er sagte. Die Aktie reagierte zunächst kaum, gab aber im weiteren Tagesverlauf um 1,7 Prozent nach.
Adidas prüft Lieferketten
Auch für Adidas gilt allerdings, dass das erste Quartal kaum ein Gradmesser für den weiteren Jahresverlauf sein kann. Die großen Verwerfungen durch die Zölle stehen noch aus und bislang können Unternehmen allenfalls mit Annahmen arbeiten. Konkret gehandelt habe Adidas bislang nur bei seinen US-Importen, erklärte Gulden. „Wir haben möglichst viel bis zum Zollstichtag 9. April eingeführt und unsere Lager aufgefüllt“, sagte Gulden. Diese Lager werden zunächst abgebaut und dann geschaut, was ab Juli passiert, wenn die 90-Tage-Schonfrist für die Zölle abläuft. „Unser Szenario ist, dass die Zölle auf dem aktuellen Niveau von zehn Prozent bleiben“, sagte Gulden.
Es könnte aber definitiv sein, dass es zu vorübergehenden Lieferengpässen kommen wird. „Es ist ein bisschen wie Covid“, sagte Gulden. Alle Importeure warten zunächst ab, was kommt. Und wenn es dann Klarheit geben sollte, werden die Waren gar nicht schnell genug durch die Häfen kommen. Das sei auch unabhängig vom wohl länger schwelenden Handelskrieg zwischen den USA und China so. Für das US-Geschäft spielt Adidas' Produktion in China so gut wie keine Rolle, betonte Gulden erneut. Gerade einmal drei Prozent der Waren für die USA kommen aus China, wo vor allem für den chinesischen Markt selbst produziert wird. Die ursprünglich geplanten Zölle für Vietnam in Höhe von 46 Prozent, träfen Adidas schon deutlich stärker. Deshalb überlege man auch aktuell, wie man die Produktion für die USA reallokiere. Klar sei: Die Preise sollen nur in den USA steigen. Die restliche Welt müsse nicht für Zölle in den USA draufzahlen, so Gulden.
Gulden strebt Ebit-Marge über 10 Prozent an
Grundsätzlich sieht der CEO Adidas auf einem guten Weg. „Die Marke ist weiter heiß“, sagte er, und verwies auf zahlreiche gut laufende Schuhmodelle und die Running-Sparte. Adidas habe die Hälfte seines Weges beschritten, um ein gesundes Unternehmen zu werden, wie Gulden es formuliert – ein Unternehmen, das dauerhaft über 10 Prozent Ebit-Marge erreicht. Da liegt Adidas mit 9,9 Prozent derzeit noch leicht darunter.
Wahrscheinlich hätte Adidas die Zielmarke aber auch schon im vergangenen Quartal erreichen können, wenn das Unternehmen nicht so viel Geld in Marketing und Wachstum gesteckt hätte. Allein hier stiegen die Ausgaben um 13,5 Prozent, was sogar über der Wachstumsrate beim Umsatz lag – wobei das Umsatzwachstum letztmalig Yeezy-Absätze enthält. Ohne die Yeezy-Linie von Skandal-Rapper Kanye West, die Adidas bis Dezember noch verkauft hatte, lag das Wachstum in diesem Quartal bei etwa 17 Prozent.
Das zeigt aber auch, warum die Marketingausgaben nötig sind. Adidas muss Innovation liefern, um sich in einem immer härteren Umfeld mit aufstrebenden Konkurrenten wie New Balance, Hoka und On zu behaupten. Nicht zuletzt wird auch Erzrivale Nike irgendwann seinen Innovationsstau hinter sich lassen und in den Angriffsmodus schalten. Adidas sieht sein Wachstumspotenzial weiter im Sport – den Gulden immer wieder als „zentral“ bezeichnet – und in der Retromode. In der Mode rollt Adidas derzeit flache Modelle („Low Profile“) wie Taekwondo, Tokyo und Adiracer aus, die zunächst in Japan und Südkorea erfolgreich waren. Dazu kommt ein Revival des Adidas Superstar-Schuhs. Wichtig sei, so Gulden, dass man sich an die Gegebenheiten vor Ort anpasse.
Adidas strebt in die Breite
Das gelte auch für den Sport. In anderen Ländern würden andere Sportarten bevorzugt, und man könne nicht aus Herzogenaurach befehlen, was gespielt werde, so Gulden. Es gab eine Zeit, da war Adidas Branchenführer in fast allen Sportarten, ehe sich der Konzern auf die lukrativsten fokussierte. Gulden will das zurückdrehen, weil er eine breite Verankerung im Sport als Markenkern von Adidas begreift. Schon im März kündigte er zum Beispiel an, dass Adidas in den Wintersport zurückkehren werde, und selbst für kleinste Nischensportarten gebe es keine Denkverbote.
Im bestehenden Angebot sieht Gulden Adidas noch längst nicht in der Führungsposition. Gerade im Laufsport, der wichtigsten Wachstumssparte, sei Adidas zwar führend bei Spitzentechnologie wie Carbonschuhen, aber bei Standardschuhen, sogenannten Daily Runnern, allenfalls Mittelmaß. „Das greifen wir jetzt an“, sagte Gulden. Und über allem schwebe natürlich noch König Fußball, der in diesem Jahr aber mit Ausnahme der Frauen-EM wenig Highlights bietet. Hier schielt Adidas eher auf das kommende Jahr, wenn die Weltmeisterschaft in Nordamerika startet – ein letztes Mal dann in Kooperation mit der Deutschen Nationalmannschaft, die ab 2027 in Nike auflaufen wird.
Die negativen Folgen der US-Zölle sind jetzt schon spürbar: Es sind in erster Linie amerikanische Unternehmen, denen die Gewinne wegbrechen. Sie sind die Verlierer von Donald Trumps Handelskrieg
Es hat nicht lange gedauert, bis die verdüsterten Aussichten für den Welthandel im Lager der Unternehmen angekommen sind. Viele Konzerne haben mittlerweile vor schlechter laufenden Geschäften gewarnt. Dabei wird häufig von geringeren Umsätzen und vor allem fallenden Nettogewinnen gesprochen. Gerade amerikanische Unternehmen, deren Lieferketten weltweit verwoben sind und die am internationalen Handel rege teilnehmen, berichten zunehmend in Moll-Tönen.
Interessant ist etwa der deutliche Rückgang der Mobilfunkanschlüsse bei Verizon. Das Telekommunikationsunternehmen berichtet von einer Kündigungswelle durch die Aktivitäten der neuen Kostensenkungsbehörde namens Doge. Klagende Töne wurden auch bei Pepsi angeschlagen. Dort ärgert man sich über die steigenden Kosten für Aluminiumdosen durch die verhängten und im Raum stehenden Zölle.
Ein ganz besonderes Klagelied singen die Exporteure von Flüssiggas, immerhin eines der wichtigsten Exportgüter der Vereinigten Staaten. Wegen einer Regierungsverfügung, wonach in China gebaute Schiffe hohe Strafgebühren beim Anlegen in US-Hafen bezahlen müssen, sieht sich die Flüssiggasbranche außerstande, ihre Exporte aufrechtzuerhalten.
Der Autohersteller Tesla verzichtete auf das Anbieten der in den USA gefertigten Modelle auf dem chinesischen Markt, weil die Zölle eine marktgerechte Preispolitik nicht mehr erlauben. Die Zollfestsetzungen treffen Tesla in einem ohnehin ungünstigen Augenblick, denn die Kalifornier mussten zuletzt von starken Marktanteilsrückgängen berichten.
Die Zölle treffen viele Branchen
Wie in jeder Krise werden auch dieses Mal die Fluglinien und die gesamte Tourismusindustrie von den unvorteilhaften staatlichen Eingriffen betroffen sein. Mehrere amerikanische Airlines erwarten ein schwieriges Geschäftsjahr. Ähnliches war aus der Hotel- und Kreuzfahrtbranche zu vernehmen. Die Angst vor Inflation und die stark gestiegene Unsicherheit im Anschluss an die vielen Dekrete der neuen US-Administration sorgen für eine schwindende Konsumneigung. Entsprechend schwach fielen zuletzt auch die Indizes zur Konsumstimmung aus, so z. B. der bekannte Michigan-Index zur Verbraucherstimmung.
Auch die Pharmaindustrie sieht sich mit Besorgnissen aus der neuen Handelspolitik konfrontiert. Eine Gewinnwarnung gab es etwa bei Merck & Co. aus New Jersey. Die von Präsident Trump angedrohten Sonderzölle auf pharmazeutischen Produkte sorgen im Gesundheitssektor für schwächere Aussichten.
Sorgen gibt es auch im Finanzsektor, der als Dienstleistungsbereich zunächst nicht unmittelbar von Zöllen belastet wird. Aber die starke Korrelation mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung und die zunehmende Zurückhaltung der Unternehmen legt die Befürchtung nahe, dass der Finanzsektor ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.
Im Ganzen sind bereits heute erste deutliche Auswirkungen der neuen amerikanischen Handelspolitik auf die Unternehmen zu spüren. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die neue Epoche überwiegend Verlierer hervorbringen wird.
Der Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel ist vorbei – über die Ursache des Blackouts gibt es aber noch keine Gewissheit. In Deutschland sei so etwas nicht möglich, sagt die Bundesnetzagentur
Am Tag nach dem historischen Blackout kehren Spanien und Portugal zur Normalität zurück: Am frühen Dienstagmorgen hatten fast alle Menschen in beiden Ländern wieder Strom. Das Internet, die Telefone und auch die Ampeln funktionierten nach dem Totalausfall vom Montag wieder weitgehend problemlos. U-Bahnen und Züge fuhren zwar nahezu überall wieder, doch etwa in Katalonien blieben die Nahverkehrszüge, die von Zehntausenden täglich für die Fahrt zur Arbeit und zur Schule benutzt werden, aufgrund einer anhaltenden Instabilität des Systems vorerst stehen.
Der spanische Versorger Red Eléctrica teilte am Dienstagvormittag mit, 99,95 Prozent der Energieversorgung seien auf dem vom Ausfall betroffenen Festland wiederhergestellt worden. In Portugal hätten inzwischen alle 6,5 Millionen Haushalte wieder Strom, ließ die Regierung in Lissabon wissen. Die Wasserversorgung funktioniere nahezu landesweit – und auch das gesamte Verkehrssystem sei nach dem Stromausfall wieder weitgehend in Betrieb, hieß es.
Suche nach den genauen Ursachen geht weiter
Nach dem beispiellosen Stromausfall, der am Montag gegen 12.30 Uhr MESZ weite Teile der Iberischen Halbinsel lahmlegte, herrscht allerdings weiterhin Unklarheit über die genauen Ursachen. Die spanische Regierung sprach von einem „historischen“ Ereignis. Millionen Menschen waren stundenlang von der Außenwelt abgeschnitten - ohne Strom, ohne Netz, ohne Verbindungen.
„So etwas haben wir noch nie erlebt“, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez am späten Montagabend in einer Fernsehansprache. Er lobte die Bürger des Landes für das mustergültige Verhalten. Obwohl in der Nacht vielerorts noch Finsternis herrschte, blieben nennenswerte Zwischenfälle aus. Es sei zum Beispiel nicht zu den befürchteten Überfällen und Plünderungen gekommen, berichteten der staatliche TV-Sender RTVE in einer ersten Bilanz.
Krisensitzungen in Madrid und Lissabon
Was genau den Kollaps auslöste, ist noch Gegenstand von Untersuchungen. Red Eléctrica machte die abrupte Unterbrechung der Stromverbindung mit Frankreich für den Zusammenbruch verantwortlich. Warum es zu dieser Entkopplung kam, blieb allerdings auch am Dienstag vorerst offen. Die Regierungen in Madrid und Lissabon kündigten Krisensitzungen an, um das Ausmaß des Vorfalls und mögliche strukturelle Schwächen zu analysieren.
Spaniens nationales Institut für Cybersicherheit hatte laut der Zeitung „El País“ mitgeteilt, es untersuche, ob ein Hackerangriff hinter dem Stromausfall stecken könnte. Nach Angaben des portugiesischen EU-Ratspräsidenten António Costa gibt es derzeit aber keinen Hinweis auf eine solche Cyberattacke.
Auch ein bekannter Deutscher blieb nicht verschont
Am Montag war das öffentliche Leben vielerorts nahezu zum Erliegen gekommen: Menschen steckten in Aufzügen, U-Bahnen und Zügen fest, an Flughäfen und in Bus- und Zugbahnhöfen strandeten Tausende Reisende. Internet und Mobilfunk fielen flächendeckend aus. Der Straßenverkehr kam unter anderem in Madrid in den hoffnungslos verstopften Straßen ohne Ampeln oft völlig zum Erliegen. In Kliniken mussten Notstromaggregate einspringen. Wer auf digitale Infrastruktur angewiesen war, konnte nicht arbeiten.
Der massive Blackout traf in Spanien nach Angaben der Behörden nur das Festland, nicht aber die Kanaren und Balearen. Nach regionalen Medienberichten hatten viele Menschen auf Mallorca zwar kurzzeitig Handyprobleme, das sei aber wohl eine Folge der Schwierigkeiten der spanischen Anbieter gewesen, hieß es.
Die deutsche Aufsichtsbehörde für das Stromnetz schließt für Deutschland einen massiven Stromausfall wie in Spanien und Portugal nahezu aus. "Das ist sehr unwahrscheinlich", sagte der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, am Montagabend der ARD-Tagesschau. Das deutsche Stromnetz sei redundant ausgelegt. "Konkret bedeutet das, dass eine Leitung immer ausfallen kann und eine andere Leitung einspringen würde." Es gebe mehrere Sicherungssysteme im Stromnetz, und für den Fall der Fälle gebe es sogenannte Schwarzstartkraftwerke, die das Stromnetz auch ohne externe Energieversorgung wieder aufbauen könnten. "Das heißt, Deutschland ist gut vorbereitet", sagte Müller.
Auf Peter Navarro kann Donald Trump sich verlassen. Der glühende Zollanhänger tut alles, damit der Präsident seinen Handelskrieg kämpfen kann – auch wenn er dafür die Realität verbiegen muss
Als die Finanzmärkte am Morgen des 9. April crashten, gab es für US-Finanzminister Scott Bessent und US-Handelsminister Howard Lutnick nur ein Ziel: Sie mussten den richtigen Moment abpassen. Eine Woche zuvor hatte Donald Trump am „Liberation Day“ die größte US-Zollerhöhung seit den 30er-Jahren verkündet. Die Börsen erlebten einen der größten Abstürze seit dem Zweiten Weltkrieg. Investoren flüchteten aus dem Dollar und aus US-Staatsanleihen. Bessent und Lutnick wollten Trump überreden, den Zollkrieg wenigstens vorübergehend auszusetzen. Es gab nur ein Problem: Peter Navarro, der Trump zu der Attacke geritten hatte, wich einfach nicht von seiner Seite.
Laut „Wall Street Journal“ lungerte der wichtigste Handelsberater des Präsidenten an diesem Morgen pausenlos vor dem Oval Office herum. Seit Trump den Startschuss zum weltweiten Handelskrieg gegeben hatte, schien es fast, als wolle der Ökonom den Präsidenten bewachen, damit ihm niemand gegenläufige Ratschläge erteilt. Bessent und Lutnick warteten geduldig, bis Navarro gegangen war, weil Trump zu einem Treffen in einem anderen Teil des Weißen Hauses aufbrechen wollte. Dann stürmten sie das Oval Office.
Viel Zeit blieb nicht, weil sie keinen offiziellen Termin für ihre Intervention beim mächtigsten Mann der Welt hatten. Aber am Ende überzeugten sie Trump, den Zollkrieg mit dem Rest der Welt vorübergehend auszusetzen, um die Panik an den Märkten in den Griff zu kriegen. Laut Lutnick blieben Bessent und er so lange an Trumps Seite, bis der Präsident den Truth-Social-Post fertig getippt hatte, in dem er seine plötzliche Kehrtwende verkündete.
„Ein Idiot“, der das Ohr des Präsidenten hat
Die Episode zeigt, welche Macht Peter Navarro als Trumps Chefberater in Handelsfragen hat. Und wie entschlossen er ist, den Zollkrieg gegen alle Widerstände durchzukämpfen. „Trump hat keine ökonomische Theorie hinter dem, was er tut“, sagt der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Das stimmt nicht ganz: Trump folgt dem Plan von Peter Navarro. Er war schon in Trumps erster Amtszeit sein wichtigster Einflüsterer in Handelsfragen und ist nun wieder der Cheftheoretiker seines Wirtschaftskriegs mit dem Rest der Welt. Auch wenn seine Theorie mit der Realität an vielen Stellen nichts zu tun hat.
Selbst einige von Trumps engsten Verbündeten können Navarros Ideen wenig abgewinnen. Elon Musk hat ihn auf X als „dümmer als ein Sack Ziegelsteine“ und „wirklich ein Idiot“ beschimpft. Weniger deshalb, weil das seine tatsächliche Intelligenz beschreibt. Sondern wohl mehr aus Frust darüber, dass Navarro Trumps Denken so stark prägt, dass selbst der reichste Mann der Welt ihn nicht vom Zoll-Harakiri abbringen kann, das Tesla und Musks anderen internationalen Konzernen schweren Schaden zufügt.
Navarro ist ein glühender Verfechter des Protektionismus. Seit Jahren wirbt er für die Abkehr von der Globalisierung und der Nachkriegsordnung, die als Lehre aus der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg auf offene Grenzen und Freihandel setzte. Mit horrenden Zöllen will er die Amerikaner zwingen, weniger in China und mehr zu Hause einzukaufen, um das Handelsdefizit mit Peking herunterzuprügeln. Es ist genau der Plan, den Trump jetzt in die Tat umsetzt.
„Amerika, das Sparschwein wird weiter geplündert“
Unfaire Handelspraktiken der Chinesen prangern auch viele andere Ökonomen zu Recht an. Aber mit seinen radikalen Vorschlägen steht der 75-jährige Navarro weitgehend allein da. Seit der britische Ökonom David Ricardo im 19. Jahrhundert die Theorie des komparativen Kostenvorteils entwickelt hat, haben renommierte Wirtschaftsforscher immer wieder bestätigt, dass Handel und globale Arbeitsteilung den Wohlstand der Nationen insgesamt erhöhen. Weil sich jedes Land auf das spezialisiert, was es mit den geringsten Opportunitätskosten herstellen kann – auch wenn dabei überall einige Branchen und Beschäftigte verlieren.
Diesen Konsens lehnt Navarro ab: „Ricardo ist tot“, donnerte er schon 2019 den Zuhörern bei einem Vortrag an seiner Alma Mater Harvard entgegen. Denn dessen Theorie würde nicht berücksichtigen, dass in der realen Handelswelt andere Länder „lügen, spionieren, betrügen, oder stehlen“. Für Navarro ist Handel kein Wachstumsgarant, durch den alle gewinnen, sondern ein Nullsummenspiel, bei dem immer nur einer verliert: „Amerika, das Sparschwein, wird weiter geplündert werden durch ein Handelsdefizit, das pro Jahr mehr als eine halbe Billion Dollar amerikanischen Wohlstands in ausländische Hände transferiert.“
Jahrzehntelang lehrte Navarro Wirtschaft an der Universität von San Diego, kandidierte erfolglos für die Demokraten als Bürgermeister der südkalifornischen Stadt und für den US-Kongress. Seinen Hang zum Extremen, der auch seine Handelstheorie prägt, hat er schon als Aktivist in den 90er-Jahren entwickelt, der die ausufernde Zersiedelung der Millionenstadt durch Immobilienhaie, Baulöwen und Einwanderer anprangerte: „Beides sind fundamental populistische Botschaften, die von der Annahme ausgehen, dass jemand darauf aus ist, uns abzuzocken und dass wir etwas Drastisches tun müssen, um dieses Unrecht zu beseitigen“, zitiert das US-Portal „Axios“ einen von Navarros damaligen Gegnern.
China-Hass ist die Eintrittskarte zu Trumps Zoll-Team
Dennoch deutete wenig darauf hin, dass Navarro einmal zum wichtigsten Handelskrieger der Maga-Bewegung werden würde. Vor zehn Jahren war er noch ein kaum bekannter Professor kurz vor dem Ruhestand. Dann katapultierte ihn der Zufall in Trumps Orbit: 2016 suchte der händeringend nach Experten für sein Wahlkampfteam. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner soll daraufhin einfach auf Amazon nach passenden Büchern gesucht haben, und dabei auf Navarros Werk gestoßen sein: „Tod durch China“. Es war seine Eintrittskarte ins Weiße Haus.
Navarro passte perfekt ins Profil: Abschlüsse in Harvard, hohe Glaubwürdigkeit als Professor, felsenfeste Überzeugungen. Er bestätigte Trump in all seinen Ansichten über China. Und lieferte ihm ein halbwissenschaftliches Fundament, um die Wut seiner Anhänger zu schüren. In seinem Buch hetzt Navarro, man müsse „dem Drachen entgegentreten“, der den USA Millionen Jobs stehle, indem er Umweltschutz und Arbeiterrechte mit Füßen trete, Löhne drücke, Patente klaue, US-Technologie hacke, seine Märkte abschotte und mit gesundheitsschädlichen und gefälschten Billigmist „unsere Babys in ihren Betten erwürgt“.
Über den Hass auf China hinaus ist Navarros Beziehung zu Trump inzwischen zur persönlichen Verbindung gewachsen. Trump soll laut „WSJ“ mehrfach gegenüber anderen gelobt haben, dass Navarro für ihn ins Gefängnis gegangen sei. In den Ermittlungen zu Trumps gescheiterten Putschversuch und dem Sturm seiner Anhänger aufs Kapitol am 6. Januar 2021 hatte der US-Kongress Navarro als Zeugen vorgeladen. Doch Navarro verweigerte eisern die Aussage – und saß dafür vier Monate im Knast. Zuvor hatte er im Fernsehen die Lüge verbreitet, Trump habe die Wahl gewonnen.
Ein Experte, der die Realität verbiegt
Sich die Wahrheit zurechtzubiegen, ist für Navarro keine neue Übung. In seinen Büchern zitiert Trumps Chefberater zum Beweis für seine Theorien mehr als ein Dutzend Mal einen vermeintlichen Experten: Ron Vara, Militär-Veteran, Investor und Harvard-Ökonom wie Navarro selbst. Um Navarros Ideen vom Zollkrieg bekannt zu machen, verschickte Vara Memos in Washington, und legte eigens dafür eine E-Mail-Adresse an. Sein Name ergibt sich, wenn man Navarros Familiennamen zu einem neuen Anagramm durchschüttelt.
Als eine australische Professorin stutzig wurde und Nachforschungen anstellte, musste Navarro zugeben, dass er sich „Ron Vara“ einfach ausgedacht hatte. Den akademischen Betrug tat Navarro gegenüber US-Medien lapidar als „Insider-Witz“ ab. „Wie Ron Vara sagen würde: Machen sie sich locker und viel Spaß beim Lesen der Bücher“.
Mit Navarro als Berater macht sich Trump nun weiter die Handelswelt, wie sie ihm gefällt. Der US-Präsident hat offensichtlich kein Problem damit. Schließlich telefonierte er selbst schon in den 1980ern unter dem Pseudonym „John Baron“ mit der Finanzpresse, um seinen angeschlagenen Ruf aufzupolieren. Doch die Realität könnte Trump und seinen Handelskrieger womöglich bald einholen.
Denn China ist heute längst nicht mehr das Entwicklungsland, von dem Navarro vor 15 Jahren in seinen Büchern schrieb. Die Volksrepublik habe sich den Weg an die Weltspitze zwar auch durch Produktpiraterie und Technologieklau erschlichen, schreibt Tom Friedman in der „New York Times“. In vielen Branchen sei die Volksrepublik aber inzwischen technologisch überlegen: „Was Chinas Fertigungsmaschinerie heute so mächtig macht, ist nicht, dass sie Dinge bloß billiger herstellt. Sie produziert sie billiger, schneller, besser, smarter und zunehmend mit KI.“ Gut möglich also, dass der Handelskrieg, den Trump und Navarro vom Zaun gebrochen haben, so endet, wie sie es sich nicht vorstellen können: mit einer Niederlage der USA.
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Die Klagen der Autoindustrie scheinen zu fruchten: US-Präsident Donald Trump will nach 100 Tagen im Amt Zollerleichterungen für die Hersteller verkünden
US-Präsident Donald Trump wird vor seiner Reise nach Michigan die Auswirkungen der US-Zölle auf die Autoindustrie verringern. Dies berichten US-Regierungsvertreter. Trump will am Mittwoch im US-Bundesstaat Michigan mit einer öffentlichen Veranstaltung seine ersten 100 Tage im Amt feiern. In Michigan sind drei große US-Autohersteller und mehr als 1000 Autozulieferer ansässig. Laut US-Regierungsvertretern sollen bereits am Dienstag einige US-Zölle auf ausländische Autoteile für in den USA hergestellte Autos reduziert werden. Zudem soll verhindert werden, dass US-Zölle auf im Ausland produzierte Autos auf andere Zölle aufgeschlagen werden.
„Präsident Trump baut eine wichtige Partnerschaft mit den heimischen Autoherstellern und unseren großartigen amerikanischen Arbeitern auf“, teilte Handelsminister Howard Lutnick am Montagabend mit. „Dieser Deal ist ein großer Sieg für die Handelspolitik des Präsidenten, da er Unternehmen belohnt, die im Inland produzieren“. Gleichzeitig biete die Trump-Regierung Autoproduzenten einen Anreiz, die sich verpflichteten, in den USA zu investieren und ihre heimische Produktion auszubauen.
Hersteller fordern Erleichterungen bei Zöllen
US-Autohersteller sagten am Montag, sie erwarteten eine Verringerung der Autozölle vor der Reise Trumps nach Michigan. US-Automobilverbände hatten US-Präsident Donald Trump in der vergangenen Woche in einem Schreiben aufgefordert, nicht wie geplant am 3. Mai Zölle in Höhe von 25 Prozent auf importierte Autoteile zu erheben. „Zölle auf Autoteile werden die globale Lieferkette der Automobilindustrie durcheinanderbringen und einen Dominoeffekt auslösen, der zu höheren Autopreisen für die Verbraucher und zu geringeren Umsätzen bei den Händlern führen und die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen sowohl teurer als auch weniger vorhersehbar machen wird“, schrieben die Automobilverbände.
Die meisten Automobilzulieferer hätten nicht das Kapital, um eine abrupte zollbedingte Unterbrechung zu überstehen. Viele von ihnen seien bereits in Bedrängnis. Der Ausfall eines einzigen Zulieferers reiche bereits aus, um die Produktion eines Automobilherstellers in den USA zum Erliegen zu bringen.
Das Schreiben der Verbände, die unter anderem General Motors, Toyota Motor, Volkswagen und Hyundai vertreten, wurde an den US-Handelsbeauftragten Jamieson Greer, Finanzminister Scott Bessent und Handelsminister Lutnick geschickt.